Sonntag, 26. Februar 2006

Szenen meiner wilden Ehe

Gestehe: Ich bin Paul!

Paul!
Wer ist eigentlich Paul?
Diese Frage stellen sich mittlerweile viele, nicht nur Frauen.
Du darfst dir diese Frage auch stellen, aber wirst du jemals eine Antwort darauf erhalten?!
Eine Antwort, die nur ich dir geben kann, denn ich gestehe:
Ich bin Paul!
Und es war wieder mal ganz anders, hast du dir auch schon gedacht?
Denn wenn meine Süße vor dem Spiegel steht, einem geschickten Zerrspiegel, der einen schlanken Fuß macht, Sonderanfertigung meines „Spiegelmeisters“ um die Ecke, suche ich schon vorzugsweise Halt in irgendeiner Fernsehsendung, egal, was kommt.
Besser eine miese Soap im TV verfolgen, als von ihren subversiven Fragen verfolgt zu werden: „Findest du nicht auch, dass mein Busen ..., mein Bauch ..., mein Po ... in letzter Zeit doch ...? Bin ich dir zu dick?“
„Was hast du gesagt Schatz, ich gucke hier gerade eine interessante Sendung über das Liebesleben der Blattläuse, was hast du gesagt?“ frage ich mit starrem Blick auf die Mattscheibe und drehe den Ton nach und nach auf Presslufthammerniveau.
„Guck dir mal meinen Bauch an, wie dick der geworden ist, in letzter Zeit.“
Die Blattläuse turteln von solch elementaren Existenzfragen unberührt weiter und schicken sich an, ihre Art zu erhalten, wie es sich gehört, während ich versuche an meiner Süßen, die mittlerweile vor dem Fernsehapparat steht, vorbei zu schauen, den Kopf links und rechts schwenkend.
„Ich seh´nichts,“ sage ich orakelhaft, was hier und jetzt das Beste ist, was einem derart bedrängten Männchen zu sagen bleibt, will er seine eigene kümmerliche Existenz noch über den Abend retten.
„Du guckst ja auch nie mal wirklich hin. Was hatte ich denn zum Beispiel letzte Woche Freitag für einen Pullover an?“
Verzweifelt frage ich mich, welchen Pullover sie jetzt trägt, besser gesagt nicht mehr trägt, da sie mir ihren, wie sie sagt, von Chips, Schokolade und sonstigen Vollwertprodukten verschandelten Körper bar jeden Pullovers präsentiert.
„Den roten. Du hattest den roten Pulli an,“ tippe ich ins Blaue, denn Rot ist derzeit ihre Lieblingsfarbe.
„Nein, nein, nein, ich habe es gewusst. Den schwarzen Pulli hatte ich an. Rot steht mir doch gar nicht so gut.“
„Stimmt,“ sage ich hoffnungsvoll, denn gibt Mann seine Schande zu, ist er meistens gerettet, so der uralte Aberglaube.
Dachte ich.
„Du findest also, dass Rot mir nicht steht?“
Selbst das Liebesgeflüster der über den Bildschirm huschenden Blattläuse kann nicht das leicht ins Sopranöse tendierende Tremolo ihrer geliebten Stimme übertönen, zumal sie jetzt instinktiv den Lautstärkeregler gegen Null dreht und Tacheles mit mir reden will.
Als Mann dieser Frau, die ich über alles liebe, sehe ich ein, wann eine Schlacht verloren zu geben ist und bringe ein Bauernopfer:
„Rot finde ich nicht so gut an dir, wie Schwarz,“ bringe ich mutig über meine trockenen Lippen.
„Weil Schwarz schlank macht oder was?“ schlägt sie meinen Bauern mit einem Damenzug.
Schon ist der König in Gefahr, aber vielleicht kann ich sie mit einem Springerzug unter Zugzwang setzen?
„Du bist doch total schlank!“
„Das findest aber auch nur du.“ Das will ich ja wohl hoffen, dass ich der Einzige bin, der seinen Blick auf ihre schöne Gestalt wirft!
Mein König ist aber noch einmal davon gekommen, ihre Dame hat sich ein wenig zurückgezogen, allerdings sehe ich dummerweise den nächsten Zug nicht voraus:
„Und warum guckst du dann immer diesen dürren Magermilchprodukten hinterher?“
Wie soll Mann Frau ein tief verwurzeltes biologisches Programm erklären, das er selbst niemals verstanden hat, weil es ganz automatisch abläuft?
„Das hat doch nichts zu bedeuten ...“
Schon ist mein Springer geschlagen, meine Deckung liegt bloß, der König, oje der König ...
Mir bricht der kalte Schweiß aus.
„Also lügst du. Du findest dünne Frauen schöner ...“
„Du bist meine Beste, in jeder Hinsicht,“ vollziehe ich eine verzweifelte Rochade in letzter Sekunde. Dafür ist der Turm jetzt futsch. Die Reihen lichten sich, wie die grauen Haare auf meinem Kopf.
Jetzt hilft nur noch der Läufer. Schnell eingesetzt und nicht groß nachgedacht:
„Also findest du mich zu dick,“ kommt sie mir mit einem geschickten Turmzug zuvor.
Den Läufer kann ich getrost vergessen, hätte eh nichts gebracht, stelle ich resigniert fest.
Aber vielleicht so:
„Ich liebe deinen schönen Bauch und deinen Po finde ich supergeil,“ sagt das kleine Bäuerlein zur großen Dame, bevor sie ihn hopps nimmt.
Sie geht wieder zum Spiegel, schaut hinein und sagt, mehr zu sich selbst:
„Findest du wirklich?“ Ein Lächeln umspielt zaghaft ihren schönen Mund.
Remis. Ich bin auf ein Remis gekommen.
Mittlerweile haben die Blattläuse längst das vollzogen, was man früher wohl eheliche Pflichten nannte und schon einige Folgegenerationen großgezogen, während ich mich im unmenschlichen Kampf der Geschlechter opfern musste.
Doch sitzen wir nach einem ausgiebigen, versöhnlichen Abendmahl innig vereint auf der Couch und sehen fern.
„Paul! Wer ist eigentlich Paul?“ fragt die eine Kleiderstange die andere, während ich meine Frau in ihrer geliebten Weichheit an meiner Seite spüre.
„Siehst du,“ sagt sie und ich weiß nicht, was sie meint.
„Siehst du, alle Männer sind doch gleich,“ murmelt sie zwischen zwei Kartoffelchips.
Dafür habe ich natürlich vollstes Verständnis und nicke in feministischer Solidarität mit meinem fast kahlen Kopf:
In jedem Manne steckt ein Paul. Pfui. © 2003 Jon

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Erich Fromm (* 23. März 1900 in Frankfurt am Main; † 18. März 1980 in Locarno) war ein deutscher Psychoanalytiker, Philosoph und Sozialpsychologe jüdischer Herkunft. Seit 1940 war er amerikanischer Staatsbürger.

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