Sonntag, 26. Februar 2006

Mitesser

Die erste „Szene meiner wilden Ehe“, die zugleich die letzte sein wird, die ich hier veröffentliche.

Hunger.
Da bleibt mir nur der rettende Sprung in die nächste Frittenschmiede, Pommes rot-weiß und Currywurst, mit Zaziki, 3 Euro 50.
Einfach, männlich der Entschluss, die Entscheidung ist widerspruchslos gefällt, die Dame vom Grill wirft die kalten Kartoffelstäbchen ins brutzelnde Fett, erfahren und geschickt zerlegt sie das grau-braun getönte Langfleisch in mundgerechte Scheibchen, pulvert ordentlich Curry darüber, sie kennt mich und weiß, dass ich es scharf mag und wendet sich gewohnt professionell und wortgewandt dem nächsten Kunden zu:
“Was darf´s sein?“
Die Pommes garen im dunklen Fett, ich kann meinen Blick nicht von ihnen abwenden, zu hoffnungsvoll ist dieses bewegte Stilleben für mich.
„Nein,“ hatte sie gesagt, sie, meine Beste, mit der ich ausgezerrt diese heiligen Hallen deutscher Esskultur betreten hatte.
Sie wolle keine Pommes, die würden doch Krebs erregen und Currywurst, da sei ja Fleisch drin und da wisse man nicht, wo das wieder herkäme.
Außerdem „habe ich überhaupt keinen Hunger.“
Sie geht vor die Tür, denn hier stinkt es ihr zu sehr und überhaupt, könne sie mich nicht verstehen:
„Ein paar Meter weiter und da gibt es Gemüseburger aus ökologisch-dynamischem Anbau für 5 Euro 40.“
Ich bin ein hungriger Mann und kein Kaninchen, sage ich ihr aber nicht.
Kohlenhydrate, durchzuckt es blitzartig meine Sinne, Kohlenhydrate und dann können von mir aus noch 70 Schuhläden kommen:
“Wie findest du die hier?“
Ein Stadtbummel mit ihr ist immer schön, aber nicht auf nüchternen Magen.
Der Ledergeruch in den Schuhgeschäften würde mich jetzt umbringen. Rind, Schwein, welche Assoziationen würden da wohl heraufbeschworen? Nur kein Risiko eingehen.
Endlich reicht mir die Köchin all dieser herrlichen Dinge die Pappschale über die Theke, schnell gebe ich ihr das passende Geld in ihre pommes-gold-gelbe Hand und wanke voller Hoffnung auf stille Befriedigung dieses archaischen Bedürfnisses zu meiner Geliebtesten hinaus, an die frische Stadtluft.
Kleine, wackelige Tische laden hier zum Essen im Stehen ein.
Die Schale der Köstlichkeiten steht nun dampfend darauf.
„Mein Hals ist wie ausgedörrt,“ sagt mit leicht brüchiger Stimme mein Liebling.
„Soll ich dir eine Dose Wasser holen?“ frage ich, mehr rhetorisch.
„Ja, das wäre lieb von dir.“
Bin ich nicht der Mann dieser Frau?
Würde ich nicht sämtliche Bestien vor ihrer Hütte verjagen, jeden Wunsch ihr von den Lippen ablesen?
So auch diesen.
Behände, pfeilschnell schieße ich in die Pommesbude zurück, reisse eine Dose Wasser und eine mit Cola aus dem Kühlschrank, klatsche das passende Kleingeld auf den Tresen, springe heraus zu meiner Süßen (und meinem Leibgericht) und ...
„Mmmhh, die sahen so lecker aus. Vom Geruch habe ich richtig Appetit bekommen,“ sagt sie lächelnd und nur sie kann so lächeln, zwischen zwei Bissen, die blaue Plastikgabel in der Hand, auf der aufgespießt sich ein weiteres Stück Currywurst, anregend rot von Soße triefend, lüstern an eine sich nach unten biegende Fritte schmiegt.
Bin ich nun sauer?
Nein, denn ich liebe diese schöne Frau schon länger, die da „mal nur ein bisschen von deinem Tellerchen probieren“ will.
Wieder in der Pommesbude nehme ich mir ein gelbes Gäbelchen, eigentlich schon satt von so viel Bewegung und ergebe mich in mein Schicksal.
Da sie ja mit dem Essen zu tun hat, öffne ich unsere Getränkedosen und erlege ergriffen ein Scheibchen Currywurst.
„Schatz, hast du Lust, mit mir noch in das neue Schuhgeschäft zu gehen? Die haben so tolle Angebote da,“ fragt sie mich mit engelsgleicher Zunge zwischen Pommes und Currywurst.
„Natürlich,“ antworte ich.
Wer könnte da noch widerstehen? ©2002 Jon

Zug mit Dame

Wieder mal die S-Bahn verpasst.
So stehe ich auf dem zugigen Bahnsteig, die nächste soll laut Fahrplan in einer Stunde kommen.
Der Termin ist geplatzt.
Der nächste Zug rauscht auf den Bahnhof, die letzten Menschen auf dem Bahnsteig steigen ein, es hetzen noch einige Männer die steile Treppe hinauf, seltsamerweise tragen die meisten leichte Mäntel, die im Wind wehen.
Ich hatte den Wecker nicht gehört, zu lange hatte ich über den Termin mit F. nachgedacht, der auf den heutigen Tag festgesetzt war und war erst spät eingeschlafen.
Dem Zug entstiegen weitere Passagiere, die Türen wurden geschlossen und die E-Lok fuhr langsam an.
Mir wurde es hier ungemütlich; es regnete, ein kühler Wind zog über den Bahnsteig und überall standen Schilder „Rauchen verboten!“.
Außerdem hatte ich nicht gefrühstückt, nicht einmal einen Kaffee getrunken.
Ich stieg die Stufen zur Bahnhofshalle herunter und schaute mich um.
Ein kleines Café lockte mit leichtem Duft nach frischem Kaffee und gebackenen Brötchen.
Jetzt einen Kaffee, ein belegtes Brötchen und danach eine Zigarette, dachte ich.
Zigaretten, fiel mir ein, müsste ich wohl jetzt noch kaufen und so ging ich in das schmale Tabakwarengeschäft, kaufte eine Packung meiner bevorzugten Marke, dazu eine Schachtel Streichhölzer und betrat wieder die Bahnhofshalle.
Es herrschte reger Betrieb; viele Menschen eilten an mir vorüber, schweres Gepäck in den Händen, oder nur mit einer leichten Tasche unterm Arm, nahmen sie auf mich, der da stand, scheinbar ohne Ziel und mit viel Zeit, keine große Rücksicht; so wurde ich hin und her gestoßen, selbst als ich beiseite trat, rempelte mich ein besonders Eiliger ohne Entschuldigung an.
Ich flüchtete in die „Buchhandlung Schreiber“, die mit ihren Verkaufsständen vor dem Laden Sonderposten anbot,die mich allerdings nach einem kurzen Blick darauf nicht sonderlich interessierten.
Mir war nach einer Liebesgeschichte, warum auch immer und so stöberte ich im Sortiment der Bahnhofsbuchhandlung, doch auch hier fand ich außer Kitsch nichts, was mich zum Kauf bewegen konnte.
Mit einer Tageszeitung in der Hand stand ich nun an der Kasse, bezahlte und setzte mich endlich an einen etwas wackeligen Tisch des kleinen Cafés.
„Sie müssen bei mir bestellen,“ rief mir die Bedienung hinterm Tresen nicht unfreundlich zu, „hier ist Selbstbedienung.“
Mit einem dampfenden Kaffee und einem mit Käse belegten Brötchen setzte ich mich wieder an den Tisch, über dem ein Pappschild mit der Aufschrift „Raucher“ hing.
Der Kaffee schmeckte hervorragend, das Brötchen war tatsächlich so frisch, wie es sein Duft versprach und so war ich mit mir und der Welt wieder im Einklang.
Ich holte mir einen weiteren Kaffee bei der freundlichen Bedienung und rauchte meine erste Zigarette an diesem Morgen.
Die Schlagzeilen der Tageszeitung verrieten mir ncht allzu viel Neues und ich blätterte gelangweilt darin herum.
„Na,“ hörte ich jemanden sagen und sah auf.
Vor mir stand eine Frau meines Alters, sehr attraktiv, eine Handtasche unterm Arm und einen kleinen Reisetrolley an der Hand.
„Darf ich mich zu Ihnen setzen?“, fragte sie mich.
„Selbstverständlich,“ antwortete ich und rückte auf der schmalen Bank ein wenig zur Seite, „nehmen Sie doch bitte Platz.“
Sie bugsierte ihren Trolley unter den Tisch, „würden Sie freundlicherweise darauf aufpassen. Ich würde mir gerne einen Kaffee holen.“
„Ja gerne,“ sagte ich.
Sie schaute sich über die Schulter nach mir um und ertappte mich dabei, wie ich ihre langen Beine betrachtete, während sie zum Tresen ging. Ihr Lächeln war einfach umwerfend.
„Hier schmeckt der Kaffee wenigstens,“ bemerkte sie nach dem ersten Schluck und mit einem Blick auf meine Zeitung, „was gibt´s denn an Neuigkeiten in der Welt?“
„Eigentlich nichts,“ antwortete ich, „ein Krieg irgendwo, ein Unfall mit einigen Verletzten und ein neuer Spielfilm in den Kinos.“
„Gehen Sie gerne ins Kino?“, fragte sie mich über den Rand ihres Kaffeebechers schauend.
„Kommt auf den Film an,“ ich überlegte, mir noch einen Kaffee zu bestellen, vielleicht sollte ich damit warten, bis sie ihren getrunken hätte und sie dann einladen?
„Sie sehen sicher gerne spannende Filme, oder?“
„Stimmt. Agentenfilme, zum Beispiel.“
Sie nickte, nahm eine Zigarette aus einem versilberten Etui und beugte sich mit der Zigarette in der Hand zu mir.
„Haben Sie Feuer für mich?“, fragte sie mit rauchiger Stimme und hielt dann meine Hand mit dem entzündeten Streichholz.
„Danke,“ hauchte sie das Streichholz aus, ohne jedoch meine Hand loszulassen.
„Sie sind ja ein Kavalier alter Schule. Das gefällt mir.“
Mir gefiel ihre Art zu sprechen, mich anzuschauen und auch wie sie ihre Zigarette hielt, den Rauch in zarten Kringeln gegen die Decke blies.
„Sugar,“ sagte sie und ich muss sie wohl ein wenig irritiert angesehen haben, „meine Freunde nennen mich Sugar.“
„Ich bin Gregor. Gregor Schablonski.“
„Ich weiß Schätzchen, ich weiß,“ sagte sie, wieder betörend lächelnd und legte etwas auf den Tisch, das ich als meinen Personalausweis erkannte.
„Du musst verstehen, eine Frau in meiner Situation will immer gerne wissen, mit wem sie es zu tun hat.“
Ein leichter Schauder lief über meinen Rücken und ich fragte mich wie ich in diese Situation geraten war.
Eine solche Frau hatte ich noch nie in meinem Leben getroffen.
Sie strich sich ihre goldblonden Haare aus dem Gesicht, holte einen kleinen Spiegel aus ihrer Handtasche und zog sich mit einem knallroten Lippenstift die Lippen nach.
„Du hast heute eine Verabredung mit F., die du besser nicht versäumt hättest. Es hängt für dich zu viel davon ab.“
Sie schlug ihre Beine übereinander, „wie wäre es mit einem Kaffee?“
Woher weiß sie von meiner Verabredung mit F., fragte ich mich während ich in der langen Schlange darauf wartete meine Bestellung aufzugeben.
Nur F. und ich wussten von diesem Termin, da war ich mir sicher. Selbst F.´s Sekretärin war nicht eingeweiht, schließlich ging es um die Übernahme der Firma, die F. mit meiner Hilfe plante. Sollte dieser Plan im geringsten ruchbar werden, wäre nicht nur F.´s Position als leitender Angestellter, sondern auch meine als ständiger Berater der Firma nicht mehr haltbar gewesen und F. und ich hätten den Betrieb sang- und klanglos verlassen müssen.
„F. hat gestanden. Und Sie verraten,“ erklärte sie mir, während sie Zucker in ihren Kaffee rührte und sich Sahne eingoß.
„Es war notwendig geworden, weil sonst seine kleinen Transaktionen aufgefallen wären, die er in den letzten zehn Jahren getätigt hat, soll ich Ihnen ausrichten,“ sagte sie und schaute aus dem Fenster.
Es regnete noch immer und die wenigen Passanten, die zu sehen waren, beeilten sich, einigermaßen trocken in den Bahnhof zu gelangen.
„Wären Sie pünktlich zum Termin erschienen, hätte F. nicht gestehen müssen. Aber so, wie die Dinge liegen, sollten Sie besser nicht mehr nach Köln fahren,“ erklärte sie mir mit einem breiten Lächeln, „sondern, das hat F. mir weiter aufgetragen, mit diesem Schlüssel das Schließfach auf diesem Bahnhof öfffnen, den Koffer herausnehmen und dessen Inhalt auf dieses Konto einzahlen.“
Sie gab mir unterm Tisch einen kleinen zusammengefaltetn Zettel in die Hand, in den etwas Hartes eingewickelt war.
„Warum erledigen Sie das nicht für F.?“
„Weil ich als seine Geliebte vielleicht schon jetzt beobachtet werde,“ sagte sie sich umschauend ungeduldig, „verstehen Sie jetzt endlich?“
Auch ich sah mich unwillkürlich um, konnte aber niemanden entdecken, der ein besonderes Interesse an uns zu haben schien.
Wie kam dieser kleine alte Herr, dieser F. zu einer solchen Geliebten, fragte ich mich, dieser F., der immer so seriös und zurückhaltend wirkte un djeden mit seinen faden Witzen langweilte.
„Nun, was ist? Wollen Sie F. und mir diesen kleinen Gefallen tun?“, sie trank Kaffee und zwinkerte nervös mit ihren großen blauen Augen, „es soll Ihr Schade nicht sein.“
„Okay, wenn es F. und mich vor Schlimmerem bewahrt,“ sagte ich und stand auf, „ich werde also jetzt diesen geheimnisvollen Koffer holen und alles so erledigen wie F. es wünscht.“
Sie hielt mich am Arm zurück.
„Einen Moment. Nicht so hastig. Wir sollten noch einmal kurz überlegen, ob wir die Sache nicht anders regeln können.“
„Anders? Ich dachte ...“
„Sie gefallen mir. Sehr, wenn ich ehrlich sein soll. F. . Haben Sie sich F. einmal genauer angesehen? Er ist schon lange auf dem absteigendem Ast. Und als Liebhaber ...,“ sie schüttelte den Kopf, „setzen Sie sich, Gregor, bitte. Ich kann und will nichts mehr mit F. zu tun haben, können Sie das verstehen?“
Sie schaute mir tief in die Augen und ich verstand sie sofort.
„Was ist Ihr Plan, Sugar?“
„Wir sollten dieses Köfferchen an uns nehmen, eine Fahrkarte ins Ausland kaufen und alles hinter uns lassen.“
Ihre Augen glänzten.
„Sie und ich haben die Zukunft noch vor uns. Warum sollten wir sie nicht gemeinsam angehen.“
„Aber F.?“
„F. wird in den kommenden Wochen stark damit beschäftigt sein, der Firmenleitung sein Fehlverhalten zu erklären, das kannst du mir glauben, Gregor.“
Sie beugte sich zu mir herüber und gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange, „kannst du dir denn ein Leben mit mir nicht vorstellen, Schatz?“
Wir hatten gerade die Grenze zu Griechenland hinter uns gelassen, als mein Mobiltelefon schellte.
„Schablonski,“ schrie jemand mir ins Ohr, „was ist in Sie gefahren. Wo stecken Sie. Die Verträge sind vollständig unterzeichnet, es fehlt nur noch das Geld. Schablonski, hier ist F., was haben Sie mit dem Koffer gemacht? Hat denn meine neue Sekretärin Sie nicht angetroffen? Eine Blondine, eine scharfe Blondine, wie Sie sie wohl nennen würden?“
„Schau mal Gregor, Olivenbäume,“ sagte sie zu mir, nahm mir das Telefon aus der Hand und warf es aus dem Fenster. © 2004 Jon

Szenen meiner wilden Ehe

Gestehe: Ich bin Paul!

Paul!
Wer ist eigentlich Paul?
Diese Frage stellen sich mittlerweile viele, nicht nur Frauen.
Du darfst dir diese Frage auch stellen, aber wirst du jemals eine Antwort darauf erhalten?!
Eine Antwort, die nur ich dir geben kann, denn ich gestehe:
Ich bin Paul!
Und es war wieder mal ganz anders, hast du dir auch schon gedacht?
Denn wenn meine Süße vor dem Spiegel steht, einem geschickten Zerrspiegel, der einen schlanken Fuß macht, Sonderanfertigung meines „Spiegelmeisters“ um die Ecke, suche ich schon vorzugsweise Halt in irgendeiner Fernsehsendung, egal, was kommt.
Besser eine miese Soap im TV verfolgen, als von ihren subversiven Fragen verfolgt zu werden: „Findest du nicht auch, dass mein Busen ..., mein Bauch ..., mein Po ... in letzter Zeit doch ...? Bin ich dir zu dick?“
„Was hast du gesagt Schatz, ich gucke hier gerade eine interessante Sendung über das Liebesleben der Blattläuse, was hast du gesagt?“ frage ich mit starrem Blick auf die Mattscheibe und drehe den Ton nach und nach auf Presslufthammerniveau.
„Guck dir mal meinen Bauch an, wie dick der geworden ist, in letzter Zeit.“
Die Blattläuse turteln von solch elementaren Existenzfragen unberührt weiter und schicken sich an, ihre Art zu erhalten, wie es sich gehört, während ich versuche an meiner Süßen, die mittlerweile vor dem Fernsehapparat steht, vorbei zu schauen, den Kopf links und rechts schwenkend.
„Ich seh´nichts,“ sage ich orakelhaft, was hier und jetzt das Beste ist, was einem derart bedrängten Männchen zu sagen bleibt, will er seine eigene kümmerliche Existenz noch über den Abend retten.
„Du guckst ja auch nie mal wirklich hin. Was hatte ich denn zum Beispiel letzte Woche Freitag für einen Pullover an?“
Verzweifelt frage ich mich, welchen Pullover sie jetzt trägt, besser gesagt nicht mehr trägt, da sie mir ihren, wie sie sagt, von Chips, Schokolade und sonstigen Vollwertprodukten verschandelten Körper bar jeden Pullovers präsentiert.
„Den roten. Du hattest den roten Pulli an,“ tippe ich ins Blaue, denn Rot ist derzeit ihre Lieblingsfarbe.
„Nein, nein, nein, ich habe es gewusst. Den schwarzen Pulli hatte ich an. Rot steht mir doch gar nicht so gut.“
„Stimmt,“ sage ich hoffnungsvoll, denn gibt Mann seine Schande zu, ist er meistens gerettet, so der uralte Aberglaube.
Dachte ich.
„Du findest also, dass Rot mir nicht steht?“
Selbst das Liebesgeflüster der über den Bildschirm huschenden Blattläuse kann nicht das leicht ins Sopranöse tendierende Tremolo ihrer geliebten Stimme übertönen, zumal sie jetzt instinktiv den Lautstärkeregler gegen Null dreht und Tacheles mit mir reden will.
Als Mann dieser Frau, die ich über alles liebe, sehe ich ein, wann eine Schlacht verloren zu geben ist und bringe ein Bauernopfer:
„Rot finde ich nicht so gut an dir, wie Schwarz,“ bringe ich mutig über meine trockenen Lippen.
„Weil Schwarz schlank macht oder was?“ schlägt sie meinen Bauern mit einem Damenzug.
Schon ist der König in Gefahr, aber vielleicht kann ich sie mit einem Springerzug unter Zugzwang setzen?
„Du bist doch total schlank!“
„Das findest aber auch nur du.“ Das will ich ja wohl hoffen, dass ich der Einzige bin, der seinen Blick auf ihre schöne Gestalt wirft!
Mein König ist aber noch einmal davon gekommen, ihre Dame hat sich ein wenig zurückgezogen, allerdings sehe ich dummerweise den nächsten Zug nicht voraus:
„Und warum guckst du dann immer diesen dürren Magermilchprodukten hinterher?“
Wie soll Mann Frau ein tief verwurzeltes biologisches Programm erklären, das er selbst niemals verstanden hat, weil es ganz automatisch abläuft?
„Das hat doch nichts zu bedeuten ...“
Schon ist mein Springer geschlagen, meine Deckung liegt bloß, der König, oje der König ...
Mir bricht der kalte Schweiß aus.
„Also lügst du. Du findest dünne Frauen schöner ...“
„Du bist meine Beste, in jeder Hinsicht,“ vollziehe ich eine verzweifelte Rochade in letzter Sekunde. Dafür ist der Turm jetzt futsch. Die Reihen lichten sich, wie die grauen Haare auf meinem Kopf.
Jetzt hilft nur noch der Läufer. Schnell eingesetzt und nicht groß nachgedacht:
„Also findest du mich zu dick,“ kommt sie mir mit einem geschickten Turmzug zuvor.
Den Läufer kann ich getrost vergessen, hätte eh nichts gebracht, stelle ich resigniert fest.
Aber vielleicht so:
„Ich liebe deinen schönen Bauch und deinen Po finde ich supergeil,“ sagt das kleine Bäuerlein zur großen Dame, bevor sie ihn hopps nimmt.
Sie geht wieder zum Spiegel, schaut hinein und sagt, mehr zu sich selbst:
„Findest du wirklich?“ Ein Lächeln umspielt zaghaft ihren schönen Mund.
Remis. Ich bin auf ein Remis gekommen.
Mittlerweile haben die Blattläuse längst das vollzogen, was man früher wohl eheliche Pflichten nannte und schon einige Folgegenerationen großgezogen, während ich mich im unmenschlichen Kampf der Geschlechter opfern musste.
Doch sitzen wir nach einem ausgiebigen, versöhnlichen Abendmahl innig vereint auf der Couch und sehen fern.
„Paul! Wer ist eigentlich Paul?“ fragt die eine Kleiderstange die andere, während ich meine Frau in ihrer geliebten Weichheit an meiner Seite spüre.
„Siehst du,“ sagt sie und ich weiß nicht, was sie meint.
„Siehst du, alle Männer sind doch gleich,“ murmelt sie zwischen zwei Kartoffelchips.
Dafür habe ich natürlich vollstes Verständnis und nicke in feministischer Solidarität mit meinem fast kahlen Kopf:
In jedem Manne steckt ein Paul. Pfui. © 2003 Jon

JON

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