Donnerstag, 8. Dezember 2005

Wonderwalls

Letztens stand ich ziemlich genervt an meiner Straßenbahnhaltestelle.
Es zog ein eisiger Wind durch die Straßen und ich war mal wieder zu dünn bekleidet. Und die Straßenbahn kam und kam nicht.
"Jetzt eine warme Tasse Kakao."
Dachte nicht ich, sondern sagte eine warme Frauenstimme hinter mir.
Allerdings war ich der einzige Wartende an der Haltestelle.
Weit und breit war niemand zu sehen.
Autsch, dachte ich nur, jetzt gehts los. Zu was können Unterkühlungen führen?
Schneeblindheit, Fata Morganen, auch akustische Falschmeldungen konnten ihre Ursachen in zu hoher oder niedriger Umgebungstemperatur haben. Reinhold Messners Yetigequatsche war dafür ein ziemlich guter Beleg.
Einigermaßen zitternd grübelte ich darüber, bis ich hinter mir das Geräusch des Eingießens hörte.
Eindeutig, hier lag keine Störung meiner Wahrnehmung vor, hier ging etwas vor sich, das spektakulär und aufregend war.
Ich drehte mich langsam um und betrachtete das Plakat, das mir ebendiesen heißen Kakao versprach.
Eine aufreizend knapp bekleidete Dame südlichen Typs versprach mir heiße Stunden zu zweit, wenn ich nur ihren Kakao kaufte und zu mir nahm.
Hoppla, dachte ich da, ein freudscher Verhörer vielleicht? Der Wunsch als Vater des Gedankens?!
"Schon gesüßt und nur mit heißem Wasser aufgießen. Fertig ist der Schokotraum."
Jetzt hatte ich sie erwischt. In flagranti.
Ohne die vollen, schokoladenfarbigen Lippen bewegt zu haben, hatte sie mit mir gesprochen.
Nein, zu mir gesprochen.
"Schokotraum. Das Beste, um’s sich warm zu machen."
Leise Musik untermalte diese wohlklingende Versuchung.
Leichte karibische Rhythmen, zuckersüß, schokobraun fühlte ich mich, der käseweiß und bibbernd auf die Straßenbahn wartete, die mittlerweile fünfzehn Minuten Verspätung hatte.
Warm wurde mir ums Herz.
Der heiße Kakao duftete so herrlich, der erste Schluck breitete sich wohlig in mir aus.
So merkte ich glücklicherweise nicht, wie mir langsam die Zehen abstarben, meine Nase ein einziger Eiszapfen war und ich insgesamt so steif wurde, dass ich mich kaum noch von der Stelle bewegen konnte.
"Schokotraum."
Die Musik lullte mich mehr und mehr ein.
Ich schwankte zum Klang der Musik hin und her, hin und her, bis ich im Krankenhaus aufwachte.
"Da ist er ja wieder. Na, wie gehts uns denn?"
Darauf hatte ich noch nie eine umfassende Antwort geben können, also schwieg ich.
"Sie sind übrigens nicht der erste, der an dieser Haltestelle in Ohmacht gefallen ist."
"Ach?" kam es schwach über meine Lippen.
"Nein, seitdem die Unternehmen mit den Sprechenden Plakatwänden werben, sind schon einige hier gelandet. Komisches Phänomen."
Auch wenn diese Krankenschwester absolut nichts Exotisches an sich hatte, war ich dennoch froh ihre Stimme zu hören.
"Haben Sie eigentlich einen Wunsch?" fragte sie mich nett.
"Ja, danke. Bringen Sie mir doch bitte eine Tasse schönen heißen Kakaos, schon gesüßt."
"Gerne." sagte sie und verließ das Zimmer.
Durch die Fensterscheibe sah ich den trüben Herbsthimmel, an dem dunkle Regenwolken vorüberzogen. Unter meiner Bettdecke wippte ich mit meinen eiskalten Zehen zu einer karibischen Melodie, die ich irgendwie im Kopf hatte.
Was war das Leben schön! © 2003 Jon

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