Paradise Now
Kokosschnaps war wieder da.
Eines Morgens saß er am Strand, als wäre er nie fort gewesen.
Sicher, ein wenig verändert hatte er sich schon, er war nicht nur um einiges dünner geworden, seine Haut nicht nur um einiges heller, nein, Kokosschnaps trug an seinem Körper Zeichen seiner mehr als dreijährigen Abwesenheit, Spuren einer anderen Kultur, die er voller Stolz den herbei eilenden Inselbewohnern von Palm Eiland präsentierte.
So schlotterten um seine Knie nicht nur ausgefranste Hosenbeine, so trug er nicht nur auf dem Kopf einen breitkrempigen Strohhut und ein ausgebleichtes T-Shirt mit dem Aufdruck „Paradise Now“ quer über der mageren Brust, sondern zu all dem Bestaunenswerten steckten seine Füße in etwas, das die Eingeborenen sofort mit „Zweibaum“ titulierten, der kultivierte Kokosschnaps aber fremdländisch als „Schuhe“ bezeichnete.
Den Stammesangehörigen blieb der geringschätzige Blick ihres verloren geglaubten Sohnes hinter einer riesigen dunklen Sonnenbrille verborgen, so dass sie arglos waren und Kokosschnaps sogleich wieder in ihrer Mitte aufnahmen und seine Rückkehr abends mit Palmwein, Kokoslikör und einem Spanferkelbraten feiern wollten.
Und am Abend dann, die Sonne war längst untergegangen, sämtliche Frauen und Mädchen der kleinen Insel hatten sich zur Wiedersehensfeier prächtig heraus geputzt, alle Männer und Jungen ihren schönsten Kriegsschmuck angelegt, erzählte Kokosschnaps immer und immer wieder jedem, der ihn fragte und nach dem Genuss des köstlichen Fleisches und einer gehörigen Menge geistiger Getränke, auch jedem der ihn nicht fragte, wie es denn nun damals gekommen war, dass er, Kokosschnaps verschwunden und nun endlich wieder daheim auf Palm Eiland angelangt sei, nach all den Jahren, wobei doch alle gedacht hätten, dass ihn der Ungeheuerliche Hai mitsamt Einbaum verschlungen habe, damals vor drei Jahren, als er, Kokosschnaps, wie jeden Morgen in sein schmales Boot gesprungen und mit den anderen Männern zu den Korallenriffen gepaddelt war, um dort zu fischen.
„Nun,“ sagte Kokosschnaps, mit fortschreitend schwerer Zunge, „nun, es war so: Ich fuhr hinaus auf See, die Mittagssonne stach im Nacken und ein leichter Schwindel überkam mich. Da legte ich mich hin und deckte mich mit einigen Palmblättern zu, die ich, um den Fisch frisch zu halten immer dabei habe, wenn ich zum Fischen fahre. Kaum ruhte ich, schlief ich ein, doch ich hörte den Wind meinen Einbaum ergreifen und spürte, wie ich fortgetrieben wurde. Aber meine Müdigkeit war zu stark und so konnte ich nichts dagegen tun, als unter den Palmblättern zu hoffen, dass ich bald an Land geweht werden würde.“
Diese plötzliche Müdigkeit zur Mittagszeit kannten alle Männer sehr gut und so nickten sie zustimmend und lobten Kokosschnaps´ Besonnenheit, sich mit den Blättern Schatten verschafft zu haben.
„Als ich aufwachte, stellte ich fest, dass rings um mich kein Land mehr zu sehen war. Palm Eiland schien im Meer versunken zu sein.“
An dieser Stelle der Erzählung rückte Kokosschnaps seine Sonnenbrille zurecht, die er noch immer trug, obwohl es bis auf die Lagerfeuer stockdunkel war und seine jeweiligen Zuhörer honorierten diesen kleinen dramatischen Kunstgriff mit einem schwermütigen „Oh, je.“
„Ja, Palm Eiland war nicht mehr zu sehen und ich war hungrig und durstig. So warf ich mein Netz aus, trank das Wasser, das sich unter den Palmblättern gebildet hatte, als ich schlief und aß dann meinen kleinen Fang roh. So überstand ich den ersten Tag.“
Wieder lobten ihn die erfahreneren Fischer für seine Geschicklichkeit, erläuterten bei dieser Gelegenheit den jungen Männern die Einzelheiten des Überlebenskampfes in den verschiedensten gefährlichen Situationen und füllten die hohle Kokosnuss des mittlerweile nicht mehr ganz so erzählfreudigen Heimkehrers mit dessen Lieblingsgetränk, dem kraftspendenden Kokosschnaps.
„Am nächsten Morgen kam erneut ein kräftiger Wind auf, der mein Boot packte und vor sich her trieb. So landete ich noch am späten Abend auf einer Insel, die so groß ist, dass man mehrere Wochen bräuchte, sie auch nur ein einziges Mal zu umschiffen.“
Wieder rückte Kokosschnaps seine Sonnenbrille zurecht und nickte schweigend.
Auch seine Zuhörer nickten, denn auch sie hatten nun eine Ahnung davon, wie groß und voller Abenteuer die Welt sein konnte.
So leerte Kokosschnaps seine Trinknuss mit einem Zug, schwankte noch einige Male bedenklich mit Kopf und Oberkörper vor und zurück und kippte schließlich ohne einen weiteren Laut von sich zu geben, kopfüber in den weichen Sand.
„Erschöpfung,“ bemerkte Häuptling Sebastiano nur und alle erhoben sich nickend, um Kokosschnaps in seine alte Hütte im Dorf zu tragen und ihn dort auf weichen Blättern niederzulegen.
Jetzt, da ganz Palm Eiland berauscht von der großen Wiedersehensfeier für den verloren geglaubten Kokosschnaps in süßem Schlaf liegt, sei hier verraten, dass der Heimgekehrte mit seiner abenteuerlichen Geschichte nicht unbedingt gelogen, aber doch einen entscheidenden Faktor unterschlagen hat:
Während alle Männer große Kürbisflaschen voll frischen Wassers mit an Bord ihrer Einbäume genommen hatten, waren seine mit Kokosschnaps, den er am liebsten trank bis zum Rand gefüllt und er hatte davon so kräftig Gebrauch gemacht, dass ihn nicht nur die zugegebenermaßen heiße Sonne, sondern auch die geistige Fülle seines Getränkes niedergestreckt und anständig betäubt hatte.
„Klar, darfst du mal fühlen,“ sagte Kokosschnaps zu der schönen jungen Frau, die den Stoff des verblichenen T-Shirts berühren wollte, „aber nur, wenn du mich küsst.“
Die junge Frau lachte, gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange und betastete dann das weiche Gewebe des fadenscheinigen Hemdes.
„Wie weich das ist,“ stellte sie anerkennend fest, „und wie schön.“
„Wenn du heute Abend zu mir in die Hütte kommst, darfst du es sogar mal anziehen,“ versprach Kokosschnaps.
Sie errötete und schüttelte den Kopf: „Ich bin doch mit deinem Bruder verheiratet.“
„Da, wo es diese Kleidung gibt, ist es üblich, dass die Frauen der Brüder einmal in der Woche zu ihren Schwagern in die Hütte gehen.“
Sie lief lachend fort und rief: „Da vielleicht, aber nicht auf Palm Eiland, du hohle Nuss.“
„Das Hemd wird heute Abend an meinem Kopfende liegen und auf dich warten,“ rief Kokosschnaps ihr hinterher und ging langsam zu den Männern, die auf einem schmalen Strandstreifen saßen und ihre Netze auf Risse und Löcher untersuchten.
„Olla, mein Sohn,“ wurde er von allen begrüßt, denn die Menschen von Palm Eiland sind nicht nur freundlich zueinander, sondern allesamt miteinander verwandt.
„Olla, meine Brüder,“ erwiderte Kokosschnaps den Gruß, denn die Menschen von Palm Eiland betonen gern ihre Verwandschaft bei jeder sich bietenden Gelegenheit.
„Bist du wieder munter?“ erkundigte sich Sebastiano, der Häuptling besorgt.
„Klar, ich könnte Palmen pflücken,“ behauptete Kokosschnaps, obwohl er ziemlich heftige Kopfschmerzen hatte und ihm reichlich flau im Bauch war.
„Dann hilf uns doch, die Netze zu flicken. Oder hast du das etwa verlernt?“
Die Männer lachten, denn welcher Palm Eiländer würde so etwas jemals verlernen?
„Vergessen hab ich das bestimmt nicht, denn welcher Palm Eiländer würde so etwas jemals verlernen?“ antwortete Kokosschnaps lachend und schob seinen Strohhut in den Nacken.
„Aber mit dem Netzeflicken allein ist es ja nicht getan.“
Die Männer nickten, denn da hatte er recht. Die Einbäume waren auch noch zu untersuchen.
„Das könntet ihr alles einfacher haben,“ deutete Kokosschnaps mit einem Griff an seine Sonnenbrille an und grinste.
„Was meinst du denn?“ fragte Sebastiano, eher aus Freundlichkeit, als aus Interesse.
„Nun, jeder von euch fährt ganz allein mit einem kleinen Boot und einem kleinen Netz aufs Meer.“
„Das ist schon immer so gewesen.“
„Und schon immer fahrt ihr jeden Tag hinaus und kommt mit was wieder nach Hause?“
„Na mit Fischen natürlich. Was für´ne Frage.“ Diesmal lachten die Männer aus vollem Halse und fragten sich kopfschüttelnd, ob Kokosschnaps auch wirklich schon ganz erholt wäre, oder unter einer geheimnisvollen Krankheit leide, die er sich in der Fremde zugezogen haben könnte.
„Mit Fischen für einen Tag. Deshalb müsst ihr auch schon am nächsten Morgen wieder hinaus auf See.“
„So ist das eben auf Palm Eiland. Und so war das auch schon immer.“
„Und so wird es auch immer sein, wenn ihr nicht auf mich hört. Denn ich kenne die Lösung für diese Frage und sie ist ganz einfach.“
Die Männer unterbrachen ihre Arbeit und sahen einander an.
Dann nickten sie: „Er hat recht. Jeden Morgen müssen wir hinaus auf See für so´n paar Fische. Und wenn das so weitergeht, dann bis in alle Ewigkeit, so lange es Palm Eiland geben wird. Und jeden Morgen müssen wir vorher die Netze flicken, die Einbäume in Ordnung bringen und kommen erst spät am Abend erschöpft heim zu unseren Frauen, die wir so sehr lieben.“
„Seht ihr, man muss wie ich nur einmal ein wenig von der Welt gesehen haben und schon kann man alle Probleme im Handumdrehen lösen.“
„Denn,“ Kokosschnaps hockte sich nieder, „mit meinem Wissen werdet ihr bald alle bei euren Frauen bleiben können und es mit ihnen sehr angenehm haben.“
„Und der Fisch?“ fragte einer.
„Und Fisch werdet ihr so reichlich fangen, dass ihr ihn bald satt habt.“
Die Männer nickten und schüttelten abwechselnd den Kopf.
„Und du glaubst, dass das wirklich gelingt?“ fragte Sebastiano.
„So wahr ich hier stehe und drei Jahre auf der Großen Insel gelebt habe,“ behauptete Kokosschnaps ohne mit der Wimper zu zucken, was man ohnehin nicht sehen konnte, weil er wie immer seine riesige Sonnenbrille trug.
„Solltet ihr allerdings meinem Plan folgen wollen, kann ich euch dabei nur insofern helfen, dass ich euch erkläre, wie´s geht und ihr mir dafür von eurem Fang etwas abgebt.“
Die Fischer von Palm Eiland steckten ihre Köpfe zueinander und besprachen die Angelegenheit ausgiebig.
„Nun, einverstanden?“
„Einverstanden,“ antwortete Sebastiano und sie besiegelten den Vertrag, indem sie sich umarmten und auf die Schultern klopften.
Wie die wohlwollende Leserin und der geneigte Leser mit Sicherheit ahnen, hat auch diesmal der weitgereiste Kokosschnaps der spröden Wahrheit ein paar kleine Flügel verliehen, sich sozusagen dichterischer Freiheit bedient, um seinen geliebten Stammesgenossen von Palm Eiland und auch ein klein bisschen sich selbst zu mehr Lebensfreude zu verhelfen, denn wie jeder weiß, ist es um die Begeisterung für die Wahrheit besser bestellt, wenn sie uns nicht einfach nackt und schlicht begegnet, sondern geschminkt, frisiert, wohlriechend und fantasievoll geschmückt, den Appetit auf das Segensreichere erregt, von dem uns bislang nicht einmal ein Hauch in unserem alltäglichen Einerlei dämmerte.
So ist Kokosschnaps zwar tatsächlich auf der Großen Insel gestrandet, hat aber, anders als seinen großen Worten zu entnehmen, nichts weiter als den heruntergekommenen Hafen kennengelernt und alles, was an Gutem und Schlechtem dazu gehört. Dort hat er, angestellt in einem Schnapsausschank mit eigener Brennerei, genug über die Welt gehört, um sich nun auf eigene Füße zu stellen.
„Zuerst einmal brauchen wir einen großen Vorrat an Kokosnüssen,“ erklärte Kokosschnaps den Männern und Frauen auf dem Thron sitzend, den er sich von Häuptling Sebastiano geliehen hatte.
„Legt sie alle auf einen Stapel vor meiner Hütte.“
Der ganze Stamm half mit. Selbst die kleinsten Kinder sah man mit Kokosnüssen in der Hand hin und her laufen und allmählich wuchs der Kokosnusshaufen zu einem wahren Berg heran.
„Das reicht erst einmal für heute,“ verkündete Kokosschnaps, rückte mit einem Griff seine riesige Sonnenbrille zurecht und schob seinen Strohhut in den Nacken.
„Jetzt habt ihr frei.“ Mit diesen Worten zog er sich in seine Hütte zurück und ward bis zum späten Abend nicht mehr gesehen.
Am nächsten Nachmittag standen bereits zehn bis fünfzehn große Kürbisflaschen vor seiner Hütte, angefüllt mit dem besten Kokosschnaps, der je auf Palm Eiland gebrannt worden war, wie alle Männer, die davon kosteten, einhellig feststellten.
„Wirklich hervorragend,“ lobte auch Sebastiano Kokosschnaps´ Selbstgebrannten, sich die Lippen leckend und klopfte ihm auf die Schulter.
„Aber nun waren wir schon zwei Tage hintereinander nicht zum Fischen auf dem Meer und wir können ja nicht ausschließlich von Früchten leben.“
„Mach dir mal da keine Sorgen, lieber Häuptling. Wir brauchen für die harte Arbeit, die jetzt auf uns zukommt ein wenig Treibstoff, damit uns nicht der Spaß daran vergeht.“
Das Vergnügen der Männer, die dem Kokosschnaps schon ausgiebig zugesprochen hatten, beschränkte sich augenscheinlich auf einige wenige Aktivitäten; so erbrachen sich einige da, wo sie gerade standen, andere lagen gekrümmt auf dem Dorfplatz, während die Kinder die nachäfften, die torkelnd oder auf allen Vieren kriechend versuchten, in ihre Hütten zu gelangen.
„Na, heute wird es wohl auch nichts mehr mit dem Fischen,“ stellte Kokosschnaps fest, „dann werde ich mich jetzt mal um die Frauen kümmern.“
Doch auch Sebastiano hörte ihn nicht mehr, sondern lag vor seinem Thron auf dem Boden und schnarchte den majestätischen Schlaf des Stammesführers.
Während sich also Kokosschnaps anschickt, auch den weiblichen Stammesmitgliedern die Segnungen der Zivilisation näher zu bringen, muss erwähnt werden, dass er in den drei Jahren seines Exils nicht nur im Verkauf diverser Spirituosen tätig gewesen war, sondern auch kräftig beim Brennen verschiedenster gehaltvoller Getränke ausgeholfen hatte, so dass er nun, wie der Zustand seiner Stammesbrüder nach seinem Experiment mit heimischen Früchten beweist, darin eine gewisse Meisterschaft erreicht hatte, die er, denn man sollte kein Talent ungenutzt lassen, auf Palm Eiland weiter entwickeln wollte.
Doch schauen wir einmal, wie Kokosschnaps es anstellt, auch den Frauen seines Stammes ein wenig Kultur zu bringen und begleiten wir ihn nun zum Frauenhaus, in dem alle Frauen sich tagsüber versammeln, um dort gemeinsam zu kochen und die neuesten Nachrichten untereinander auszutauschen.
„Olla, Frauen, kommt heraus und hört mir zu,“ rief Kokosschnaps, breitbeinig vor der länglichen Hütte der Frauen stehend.
„Was willst du?“ fragte Orchidea, als Frau des mächtigen Häuptlings Sebastiano Sprecherin der Frauen.
„Euch das Leben versüßen.“
Allein mit diesen spärlichen Worten vermochte es Kokosschnaps sämtliche Frauen auf den Platz vor der Hütte zu locken, denn auch die Menschen von Palm Eiland sind wie alle Menschen versessen auf Süßes jeglicher Art und was könnte denn noch schöner als ein süßes Leben sein? Na also.
„Hört mir zu ihr Blumen von Palm Eiland, ihr Orchideen im sanften Wind des Ozeans. Weit bin ich gereist, habe allen Gefahren getrotzt, Meeresungeheuern in hartem Kampf standgehalten, Hunger und Durst überstanden, um euch nun beistehen zu können in eurer Not.“
Beim Klang dieser poetischen Worte wurde es selbst den ältesten Frauen flau im Bauch und sie hingen gespannt an den aufgesprungenen Lippen des gewandten Redners.
„Was ich auf der Großen Insel sah, waren anmutige Frauen, doch nicht halb so anmutig wie ihr, denn nur die Frauen von Palm Eiland sind schöner in ihrer Farbenpracht noch als die allerschönsten Fische der Meere, nur die Frauen von Palm Eiland sprechen noch so lieblich wie der sanfte Wind, der uns an einem heißen Tag so herrlich erfrischt, nur ihr seid noch so köstlich süß und schmackhaft, wie die köstlichsten Bananen, wenn ihr am Abend oder in der Nacht zu uns Männern in die Hütte kommt und uns die süße Frucht der Liebe kosten lasst.“
Die jungen Frauen kicherten und wurden rot, doch die erfahreneren nickten und lächelten schwärmerisch.
„Diese anmutigen Damen der Großen Insel, sie können euch keinesfalls die Kokosmilch reichen, sind Frauen wie ihr und dennoch führen sie nicht ein halb so beschwerliches Leben wie ihr, mit all eurer Plackerei.“
Die Frauen sahen auf.
„Seht euch nur eure Hände an: Sind sie nicht rau vom Pflücken der Früchte? Betrachtet eure Rücken: Sind sie nicht schon krumm vom Schleppen der schweren Töpfe? Eure Augen: Sind sie nicht schon getrübt vom Weben der groben Kleidung in der Dunkelheit? Fühlt die Sohlen eurer Füße: Sind sie nicht hart und schrundig, weil ihr auch auf den schärfsten Klippen noch nach den winzigsten Vogeleiern sucht?“
Und die Frauen betasteten ihre Füße, die das bedeutsamste Schönheitsmerkmal auf Palm Eiland sind und stellten zum ersten Mal in ihrem Leben fest, dass diese tatsächlich rau, hart und schrundig waren und sie schämten sich sehr.
„Hol mir deinen Stuhl,“ sagte Kokosschnaps zu Orchidea, „ich will euch etwas zeigen.“
Kokosschnaps setzte sich hin, rückte seine Sonnenbrille zurecht und schob seinen Strohhut in den Nacken. Dann beugte er sich vor, streifte seine ausgelatschten Schuhe ab und streckte seine Füße aus:
„Jetzt fühlt mal.“
Die Frauen schüttelten den Kopf; die Füße eines erwachsenen Mannes zu berühren war nur schicklich, wenn man mit ihm verheiratet war.
„Keine Angst, eure Männer sind beschäftigt und werden nichts davon erfahren,“ versprach Kokosschnaps.
Die Frauen tuschelten miteinander und kamen zu dem Schluss, wenn doch jede die riesigen und schmutzigen Füße von Kokosschnaps berühren würde, bestünde tatsächlich kaum die Gefahr, dass die Männer von deren Verfehlung erführen.
Vorsichtig näherten sich die Frauen Kokosschnaps und eine nach der anderen betastete, knetete und streichelte dessen Füße.
Kokosschnaps kicherte, bis die letzte sich davon überzeugt hatte, dass er zwar nicht die saubersten und wohlriechendsten, wohl aber die weichsten, glattesten und kitzligsten Füße von ganz Palm Eiland hatte.
„Seht ihr? Und die Füße der anmutigen Damen auf der Großen Insel waren noch weicher und schöner als meine, das könnt ihr mir glauben.“
Die Frauen nickten und schüttelten abwechselnd ihre Köpfe.
„Nun, mein lieber Kokosschnaps, was können wir tun, auch solch schöne Füße zu bekommen, damit uns unsere Männer noch mehr lieben?“
„Das, meine Lieben, ist gar nicht so schwer. Jedes Mal, wenn eure Männer die süße Frucht der Liebe mit euch kosten wollen, verlangt ihr von ihnen ein Liebespfand.“
„Ein Liebespfand?“
„Ja, ein Geschenk der Liebe. Einen leckeren Fisch, eine besonders große Kokosnuss, eine Koralle, einen Haifischzahn, alles, was euch an Wertvollem einfällt.“
„Und dadurch werden unsere Füße weicher?“
„Nein, aber ihr gebt mir all diese Geschenke und ich werde euch auch solche Zweibäume, wie ihr sie nennt besorgen. Dann werdet ihr die schönsten Füße der Welt haben und eure Männer werden euch dafür umso mehr lieben.“
Die Frauen von Palm Eiland steckten ihre Köpfe zueinander und besprachen die Angelegenheit ausgiebig.
„Nun, einverstanden?“
„Einverstanden,“ antwortete Orchidea und sie besiegelten den Vertrag, indem sie sich umarmten und auf die Schultern klopften.
Als Kokosschnaps den Frauen von Palm Eiland von den anmutigen Damen der Großen Insel erzählt, hat er damit noch nicht einmal gelogen, sondern nur ein wenig außer acht gelassen, dass diese in dem heruntergekommenen Hafen auf der Großen Insel äußerst selten als solche bezeichnet wurden. Allerdings hatten sie wirklich sehr weiche und sehr schöne Füße, denn sie wurden je nach Gunst von den Männern, die mit ihnen die süße Frucht der Liebe kosten wollten, reichlich beschenkt und hatten demzufolge nicht nur ein Paar „Zweibäume“ zur Verfügung, sondern sehr viele.
Wenn also Kokosschnaps dieses den Frauen von Palm Eiland verschweigt, dann doch nur, weil er sie nicht mit etwas verwirren will, das sie nicht kennen und nicht verstehen können.
Woran man sieht, wie sorgsam er darauf achtet, seinem Stamm nur das Beste zukommen zu lassen, zum allgemeinen Nutzen der Stammesgemeinschaft.
Einige Wochen später hatte sich Palm Eiland zu einer wahren Perle der Südsee entwickelt; in einigen der neuen Hütten, die die Männer für Kokosschnaps gebaut hatten, stapelten sich die bis zum Rand gefüllten Kürbisflaschen, in den übrigen die Liebespfänder der Frauen.
Kokosschnaps ging von einer Schnapsbrennerei zur nächsten, kontrollierte die Qualität der steigenden Produktion und beaufsichtigte den Abtransport, den die Kinder von Palm Eiland besorgten.
Dann zog er mit den Kindern zum Frauenhaus und ließ dort die Geschenke der Männer aufladen und zu seinen Lagerhütten bringen.
Damit noch genügend Fisch für alle da war, hatte er den Bau eines großen Mehrbaumbootes angeregt und die Fischer dazu gebracht, sämtliche kleinen Netze zu einem großen Schleppnetz zu verknüpfen.
Dadurch musste nur noch eine Handvoll Männer auf See und fischen, während die anderen sich ausschließlich der Schnapsproduktion widmen konnten.
„Orchidea und Sebastiano,“ sagte eines Abends Kokosschnaps zum Häuptling und seiner Frau, „ich habe euch zu mir rufen lassen, weil es nun bald an der Zeit ist, das große Geschäft zu machen.“
Sebastiano, vom vielen Kosten seiner Selbsterzeugnisse etwas beduselt, nickte, ebenso wie Orchidea, seine Frau, die reichlich erschöpft war vom Kosten der süßen Frucht der Liebe. Was ein großes Geschäft war, konnten sie mittlerweile beide erahnen.
„Wir alle haben in der letzten Zeit hart gearbeitet und so werdet ihr sicherlich Verständnis dafür haben, dass ich nun ein wenig Urlaub von diesen Strapazen brauche. Ich muss meinen Kopf wieder frei machen, um mich auf Größeres vorzubereiten.“
Die Oberhäupter der Palm Eiländer nickten, sie nickten in letzter Zeit eigentlich immer, wenn sie mit Kokosschnaps sprachen und hörten weiter zu.
„Deshalb übertrage ich euch nun im vollsten Vertrauen all meine Verantwortung und werde nach meinem Urlaub meine Kraft hundertprozentig für die wichtigste Aufgabe einsetzen, nämlich Palm Eiland zu einem Markenzeichen zu machen.“
Auch wenn das Häuptlingspaar vor Erschöpfung nicht die Hälfte von dem verstand, was Kokosschnaps da vorschlug, nickten beide wie gewöhnlich.
„Nun, einverstanden?“
„Einverstanden,“ antworteten beide unisono und sie besiegelten den Vertrag, indem sie sich umarmten und auf die Schultern klopften.
So kam es, dass sich Kokosschnaps auf den höchsten Berg in die Hütte zurückzog, die der Stamm ihm als Urlaubsdomizil gebaut hatte und sich dort, im vollsten Vertrauen auf den Häuptling und seine Frau, drei Monate lang entspannte, vom ganzen Stamm mit dem Besten vom Besten versorgt.
Doch was er nicht ahnte war, dass, obwohl Orchidea und Sebastiano der Sache äußerst dienlich waren, sich eine gewisse Unzufriedenheit unter der Bevölkerung von Palm Eiland breit machte, die erst im Verborgenen keimte, sich aber im Laufe der Reformen auswachsen sollte.
„Ehrlich, ich hab´s satt, ständig nach irgendwelchen Geschenken für meine Frau suchen zu müssen, nur weil ich die Frucht der Liebe mit ihr kosten will,“ gestand eines Morgens ein Freund dem anderen.
„Mir geht´s genauso. Ständig kommt sie mit was Neuem an: ´Haifischzähne hast du mir doch schon gestern angeschleppt. Und diese dämlichen Korallen kann ich auch schon nicht mehr sehen. Wie wär´s mal mit was Neuem, mein Lieber?´ Schrecklich, sage ich dir.“
Auch unter den Frauen machte sich leiser Unmut breit:
„Ständig ist mein Kerl besoffen und stinkt nur noch nach diesem ekligen Kokosschnaps,“ verriet eine der anderen beim Kochen.
„Meiner auch. Und wenn ich ihn dazu auffordere, mit mir die Frucht der Liebe zu kosten, lacht er nur dümmlich, verdreht die Augen und schläft auf der Stelle ein.“
Selbst die Kinder zeigten einen gewissen Unwillen gegenüber den großartigen Reformen, die Kokosschnaps eingeführt hatte:
„Den ganzen Tag schlepp ich schon diese Kokosnüsse hin und her und mein Papa will ständig noch mehr davon.“
„Und dann all diese Geschenke, die wir über die Insel tragen müssen. Wir können ja gar nicht mehr miteinander spielen.“
Den Fischern in dem großen Mehrbaumboot wurde es allmählich auch zuviel; der Fang war zwar üppig, aber das Einholen des riesigen Netzes erforderte all ihre Kraft, so dass sie jeden Abend vollkommen erschöpft auf Palm Eiland ankamen.
„So kann es nicht weiter gehen,“ tuschelten alle hinter vorgehaltener Hand.
Woran man sieht, dass der Mensch hofft, so lang er lebt, dass es ihm irgendwann einmal noch besser geht.
Wir alle wissen, dass auch der längste und schönste Urlaub enden muss, das Leben ist schließlich nicht zum Vergnügen da und so stieg auch Kokosschnaps eines schönen Tages von seinem hohen Berg herab und stellte sich mit ausgebreiteten Armen auf den Hauptplatz im Dorf:
„Meine lieben Palm Eiländer. Nach reiflichen Überlegungen bin ich zu dem Schluss gekommen, aus unserer schönen Insel ein Touristenzentrum zu machen. Dafür brauchen wir allerdings ein wenig Startkapital. Denn wir müssen die Insel nicht nur elektrifizieren, sondern auch weitere Hütten in Strandnähe bauen, die wir mit edlen Möbeln einrichten werden. Dann werde ich auf der Großen Insel Werbung für Palm Eiland machen und im Handumdrehen sind wir reich.“
Der Jubel hielt sich in Grenzen, doch da es alle mittlerweile gewohnt waren zu jedem Vorschlag von Kokosschnaps zu nicken, taten sie auch dieses Mal nichts Anderes.
Unbeirrt fuhr Kokosschnaps fort: „Ihr werdet ein sehr großes Mehrbaumboot bauen, damit ich unsere Handelsgegenstände, also den Schnaps und die Liebespfänder zur Großen Insel transportieren kann. Dort werde ich die Ware an den Mann bringen und dann mit den nötigen Materialien zurückkehren.“
Wieder nickten sämtliche Palm Eiländer nur stumm.
„Nun, einverstanden?“
„Einverstanden,“ murmelten alle im Chor und sie besiegelten den Vertrag, indem sie sich umarmten und auf die Schultern klopften.
„Also dann, frisch ans Werk. Ihr werdet sehen, wenn die ersten Touristen hier zu Gast sind, werdet ihr froh sein, meinen Ratschlägen gefolgt zu sein.“
So wurden die geradesten und höchsten Palmen gefällt, mit Äxten und Hobeln bearbeitet und schon nach einer Woche lag das größte Boot, das auf Palm Eiland je gebaut worden war, bereit zur großen Überfahrt bedenklich tief im seichten Wasser der kleinen Bucht.
Mit der größten Kürbisflasche voller Kokosschnaps wurde es von Orchidea auf den Namen „Großartige Zukunft“ getauft, denn diese würde mit ihm ja bald kommen, versprach Kokosschnaps noch einmal mit salbungsvollen Worten.
Ein großes Palmblätterdach spendete den Gütern, die von den Kindern an Bord geschafft worden waren den nötigen Schatten.
„Gut gemacht, Leute. Nun werde ich ausfahren und dann das große Glück nach Palm Eiland bringen.“
Kokosschnaps winkte seinem Stamm noch einmal vom Meer aus zu, rückte seine riesige Sonnenbrille zurecht, schob seinen Strohhut in den Nacken und paddelte davon.
Drei Jahre waren seitdem wieder vergangen und Kokosschnaps war noch immer nicht zurückgekehrt.
So war das gewohnte Leben nach und nach wieder eingekehrt; die Männer fischten wieder jeder für sich auf dem Meer, tranken nur noch zu Festlichkeiten ein wenig Kokosschnaps, aber brachten nun ihren Frauen manchmal Geschenke mit.
Die Frauen gingen weiterhin barfuß und wußten, dass sie trotz rauer Sohlen, die schönsten Füße der Welt hatten und schämten sich nicht mehr.
Die Kinder spielten, wie es auf Palm Eiland immer schon gewesen war.
Manchmal erinnerte sich einer an Kokoksschnaps und dann sprach man einige Worte über diese kurze Zeit des entgangenen Fortschritts.
„Was mir daran gut gefallen hat, war, dass das mal was Anderes war.“
„Ja schon, aber ich konnte diesen Kokosschnaps nachher nicht einmal mehr riechen, ohne dass mir davon schlecht wurde,“ antwortete ein Anderer darauf und alle lachten lauthals.
„Was wohl aus ihm geworden ist?“
„Er wird unsere Waren verkauft haben und nun mit einer glattsohligen anmutigen Dame irgendwo auf der Großen Insel eine Touristenhütte eröffnet haben,“ erwiderte eine der Frauen darauf.
Doch Monate später fand Kokosschnaps´Bruder in seinem Netz etwas, das auch diese Frage ein für alle Male zu beantworten schien.
Es war ein, vom Ungeheuerlichen Hai zerbissenes Stück Stoff, auf dem noch schwach der Aufdruck „Paradise No“ zu erkennen war.
Traurig schenkte er dieses Überbleibsel seiner Frau, die so gerne den weichen Stoff berührte. © 26.04. 2004 Jon
Eines Morgens saß er am Strand, als wäre er nie fort gewesen.
Sicher, ein wenig verändert hatte er sich schon, er war nicht nur um einiges dünner geworden, seine Haut nicht nur um einiges heller, nein, Kokosschnaps trug an seinem Körper Zeichen seiner mehr als dreijährigen Abwesenheit, Spuren einer anderen Kultur, die er voller Stolz den herbei eilenden Inselbewohnern von Palm Eiland präsentierte.
So schlotterten um seine Knie nicht nur ausgefranste Hosenbeine, so trug er nicht nur auf dem Kopf einen breitkrempigen Strohhut und ein ausgebleichtes T-Shirt mit dem Aufdruck „Paradise Now“ quer über der mageren Brust, sondern zu all dem Bestaunenswerten steckten seine Füße in etwas, das die Eingeborenen sofort mit „Zweibaum“ titulierten, der kultivierte Kokosschnaps aber fremdländisch als „Schuhe“ bezeichnete.
Den Stammesangehörigen blieb der geringschätzige Blick ihres verloren geglaubten Sohnes hinter einer riesigen dunklen Sonnenbrille verborgen, so dass sie arglos waren und Kokosschnaps sogleich wieder in ihrer Mitte aufnahmen und seine Rückkehr abends mit Palmwein, Kokoslikör und einem Spanferkelbraten feiern wollten.
Und am Abend dann, die Sonne war längst untergegangen, sämtliche Frauen und Mädchen der kleinen Insel hatten sich zur Wiedersehensfeier prächtig heraus geputzt, alle Männer und Jungen ihren schönsten Kriegsschmuck angelegt, erzählte Kokosschnaps immer und immer wieder jedem, der ihn fragte und nach dem Genuss des köstlichen Fleisches und einer gehörigen Menge geistiger Getränke, auch jedem der ihn nicht fragte, wie es denn nun damals gekommen war, dass er, Kokosschnaps verschwunden und nun endlich wieder daheim auf Palm Eiland angelangt sei, nach all den Jahren, wobei doch alle gedacht hätten, dass ihn der Ungeheuerliche Hai mitsamt Einbaum verschlungen habe, damals vor drei Jahren, als er, Kokosschnaps, wie jeden Morgen in sein schmales Boot gesprungen und mit den anderen Männern zu den Korallenriffen gepaddelt war, um dort zu fischen.
„Nun,“ sagte Kokosschnaps, mit fortschreitend schwerer Zunge, „nun, es war so: Ich fuhr hinaus auf See, die Mittagssonne stach im Nacken und ein leichter Schwindel überkam mich. Da legte ich mich hin und deckte mich mit einigen Palmblättern zu, die ich, um den Fisch frisch zu halten immer dabei habe, wenn ich zum Fischen fahre. Kaum ruhte ich, schlief ich ein, doch ich hörte den Wind meinen Einbaum ergreifen und spürte, wie ich fortgetrieben wurde. Aber meine Müdigkeit war zu stark und so konnte ich nichts dagegen tun, als unter den Palmblättern zu hoffen, dass ich bald an Land geweht werden würde.“
Diese plötzliche Müdigkeit zur Mittagszeit kannten alle Männer sehr gut und so nickten sie zustimmend und lobten Kokosschnaps´ Besonnenheit, sich mit den Blättern Schatten verschafft zu haben.
„Als ich aufwachte, stellte ich fest, dass rings um mich kein Land mehr zu sehen war. Palm Eiland schien im Meer versunken zu sein.“
An dieser Stelle der Erzählung rückte Kokosschnaps seine Sonnenbrille zurecht, die er noch immer trug, obwohl es bis auf die Lagerfeuer stockdunkel war und seine jeweiligen Zuhörer honorierten diesen kleinen dramatischen Kunstgriff mit einem schwermütigen „Oh, je.“
„Ja, Palm Eiland war nicht mehr zu sehen und ich war hungrig und durstig. So warf ich mein Netz aus, trank das Wasser, das sich unter den Palmblättern gebildet hatte, als ich schlief und aß dann meinen kleinen Fang roh. So überstand ich den ersten Tag.“
Wieder lobten ihn die erfahreneren Fischer für seine Geschicklichkeit, erläuterten bei dieser Gelegenheit den jungen Männern die Einzelheiten des Überlebenskampfes in den verschiedensten gefährlichen Situationen und füllten die hohle Kokosnuss des mittlerweile nicht mehr ganz so erzählfreudigen Heimkehrers mit dessen Lieblingsgetränk, dem kraftspendenden Kokosschnaps.
„Am nächsten Morgen kam erneut ein kräftiger Wind auf, der mein Boot packte und vor sich her trieb. So landete ich noch am späten Abend auf einer Insel, die so groß ist, dass man mehrere Wochen bräuchte, sie auch nur ein einziges Mal zu umschiffen.“
Wieder rückte Kokosschnaps seine Sonnenbrille zurecht und nickte schweigend.
Auch seine Zuhörer nickten, denn auch sie hatten nun eine Ahnung davon, wie groß und voller Abenteuer die Welt sein konnte.
So leerte Kokosschnaps seine Trinknuss mit einem Zug, schwankte noch einige Male bedenklich mit Kopf und Oberkörper vor und zurück und kippte schließlich ohne einen weiteren Laut von sich zu geben, kopfüber in den weichen Sand.
„Erschöpfung,“ bemerkte Häuptling Sebastiano nur und alle erhoben sich nickend, um Kokosschnaps in seine alte Hütte im Dorf zu tragen und ihn dort auf weichen Blättern niederzulegen.
Jetzt, da ganz Palm Eiland berauscht von der großen Wiedersehensfeier für den verloren geglaubten Kokosschnaps in süßem Schlaf liegt, sei hier verraten, dass der Heimgekehrte mit seiner abenteuerlichen Geschichte nicht unbedingt gelogen, aber doch einen entscheidenden Faktor unterschlagen hat:
Während alle Männer große Kürbisflaschen voll frischen Wassers mit an Bord ihrer Einbäume genommen hatten, waren seine mit Kokosschnaps, den er am liebsten trank bis zum Rand gefüllt und er hatte davon so kräftig Gebrauch gemacht, dass ihn nicht nur die zugegebenermaßen heiße Sonne, sondern auch die geistige Fülle seines Getränkes niedergestreckt und anständig betäubt hatte.
„Klar, darfst du mal fühlen,“ sagte Kokosschnaps zu der schönen jungen Frau, die den Stoff des verblichenen T-Shirts berühren wollte, „aber nur, wenn du mich küsst.“
Die junge Frau lachte, gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange und betastete dann das weiche Gewebe des fadenscheinigen Hemdes.
„Wie weich das ist,“ stellte sie anerkennend fest, „und wie schön.“
„Wenn du heute Abend zu mir in die Hütte kommst, darfst du es sogar mal anziehen,“ versprach Kokosschnaps.
Sie errötete und schüttelte den Kopf: „Ich bin doch mit deinem Bruder verheiratet.“
„Da, wo es diese Kleidung gibt, ist es üblich, dass die Frauen der Brüder einmal in der Woche zu ihren Schwagern in die Hütte gehen.“
Sie lief lachend fort und rief: „Da vielleicht, aber nicht auf Palm Eiland, du hohle Nuss.“
„Das Hemd wird heute Abend an meinem Kopfende liegen und auf dich warten,“ rief Kokosschnaps ihr hinterher und ging langsam zu den Männern, die auf einem schmalen Strandstreifen saßen und ihre Netze auf Risse und Löcher untersuchten.
„Olla, mein Sohn,“ wurde er von allen begrüßt, denn die Menschen von Palm Eiland sind nicht nur freundlich zueinander, sondern allesamt miteinander verwandt.
„Olla, meine Brüder,“ erwiderte Kokosschnaps den Gruß, denn die Menschen von Palm Eiland betonen gern ihre Verwandschaft bei jeder sich bietenden Gelegenheit.
„Bist du wieder munter?“ erkundigte sich Sebastiano, der Häuptling besorgt.
„Klar, ich könnte Palmen pflücken,“ behauptete Kokosschnaps, obwohl er ziemlich heftige Kopfschmerzen hatte und ihm reichlich flau im Bauch war.
„Dann hilf uns doch, die Netze zu flicken. Oder hast du das etwa verlernt?“
Die Männer lachten, denn welcher Palm Eiländer würde so etwas jemals verlernen?
„Vergessen hab ich das bestimmt nicht, denn welcher Palm Eiländer würde so etwas jemals verlernen?“ antwortete Kokosschnaps lachend und schob seinen Strohhut in den Nacken.
„Aber mit dem Netzeflicken allein ist es ja nicht getan.“
Die Männer nickten, denn da hatte er recht. Die Einbäume waren auch noch zu untersuchen.
„Das könntet ihr alles einfacher haben,“ deutete Kokosschnaps mit einem Griff an seine Sonnenbrille an und grinste.
„Was meinst du denn?“ fragte Sebastiano, eher aus Freundlichkeit, als aus Interesse.
„Nun, jeder von euch fährt ganz allein mit einem kleinen Boot und einem kleinen Netz aufs Meer.“
„Das ist schon immer so gewesen.“
„Und schon immer fahrt ihr jeden Tag hinaus und kommt mit was wieder nach Hause?“
„Na mit Fischen natürlich. Was für´ne Frage.“ Diesmal lachten die Männer aus vollem Halse und fragten sich kopfschüttelnd, ob Kokosschnaps auch wirklich schon ganz erholt wäre, oder unter einer geheimnisvollen Krankheit leide, die er sich in der Fremde zugezogen haben könnte.
„Mit Fischen für einen Tag. Deshalb müsst ihr auch schon am nächsten Morgen wieder hinaus auf See.“
„So ist das eben auf Palm Eiland. Und so war das auch schon immer.“
„Und so wird es auch immer sein, wenn ihr nicht auf mich hört. Denn ich kenne die Lösung für diese Frage und sie ist ganz einfach.“
Die Männer unterbrachen ihre Arbeit und sahen einander an.
Dann nickten sie: „Er hat recht. Jeden Morgen müssen wir hinaus auf See für so´n paar Fische. Und wenn das so weitergeht, dann bis in alle Ewigkeit, so lange es Palm Eiland geben wird. Und jeden Morgen müssen wir vorher die Netze flicken, die Einbäume in Ordnung bringen und kommen erst spät am Abend erschöpft heim zu unseren Frauen, die wir so sehr lieben.“
„Seht ihr, man muss wie ich nur einmal ein wenig von der Welt gesehen haben und schon kann man alle Probleme im Handumdrehen lösen.“
„Denn,“ Kokosschnaps hockte sich nieder, „mit meinem Wissen werdet ihr bald alle bei euren Frauen bleiben können und es mit ihnen sehr angenehm haben.“
„Und der Fisch?“ fragte einer.
„Und Fisch werdet ihr so reichlich fangen, dass ihr ihn bald satt habt.“
Die Männer nickten und schüttelten abwechselnd den Kopf.
„Und du glaubst, dass das wirklich gelingt?“ fragte Sebastiano.
„So wahr ich hier stehe und drei Jahre auf der Großen Insel gelebt habe,“ behauptete Kokosschnaps ohne mit der Wimper zu zucken, was man ohnehin nicht sehen konnte, weil er wie immer seine riesige Sonnenbrille trug.
„Solltet ihr allerdings meinem Plan folgen wollen, kann ich euch dabei nur insofern helfen, dass ich euch erkläre, wie´s geht und ihr mir dafür von eurem Fang etwas abgebt.“
Die Fischer von Palm Eiland steckten ihre Köpfe zueinander und besprachen die Angelegenheit ausgiebig.
„Nun, einverstanden?“
„Einverstanden,“ antwortete Sebastiano und sie besiegelten den Vertrag, indem sie sich umarmten und auf die Schultern klopften.
Wie die wohlwollende Leserin und der geneigte Leser mit Sicherheit ahnen, hat auch diesmal der weitgereiste Kokosschnaps der spröden Wahrheit ein paar kleine Flügel verliehen, sich sozusagen dichterischer Freiheit bedient, um seinen geliebten Stammesgenossen von Palm Eiland und auch ein klein bisschen sich selbst zu mehr Lebensfreude zu verhelfen, denn wie jeder weiß, ist es um die Begeisterung für die Wahrheit besser bestellt, wenn sie uns nicht einfach nackt und schlicht begegnet, sondern geschminkt, frisiert, wohlriechend und fantasievoll geschmückt, den Appetit auf das Segensreichere erregt, von dem uns bislang nicht einmal ein Hauch in unserem alltäglichen Einerlei dämmerte.
So ist Kokosschnaps zwar tatsächlich auf der Großen Insel gestrandet, hat aber, anders als seinen großen Worten zu entnehmen, nichts weiter als den heruntergekommenen Hafen kennengelernt und alles, was an Gutem und Schlechtem dazu gehört. Dort hat er, angestellt in einem Schnapsausschank mit eigener Brennerei, genug über die Welt gehört, um sich nun auf eigene Füße zu stellen.
„Zuerst einmal brauchen wir einen großen Vorrat an Kokosnüssen,“ erklärte Kokosschnaps den Männern und Frauen auf dem Thron sitzend, den er sich von Häuptling Sebastiano geliehen hatte.
„Legt sie alle auf einen Stapel vor meiner Hütte.“
Der ganze Stamm half mit. Selbst die kleinsten Kinder sah man mit Kokosnüssen in der Hand hin und her laufen und allmählich wuchs der Kokosnusshaufen zu einem wahren Berg heran.
„Das reicht erst einmal für heute,“ verkündete Kokosschnaps, rückte mit einem Griff seine riesige Sonnenbrille zurecht und schob seinen Strohhut in den Nacken.
„Jetzt habt ihr frei.“ Mit diesen Worten zog er sich in seine Hütte zurück und ward bis zum späten Abend nicht mehr gesehen.
Am nächsten Nachmittag standen bereits zehn bis fünfzehn große Kürbisflaschen vor seiner Hütte, angefüllt mit dem besten Kokosschnaps, der je auf Palm Eiland gebrannt worden war, wie alle Männer, die davon kosteten, einhellig feststellten.
„Wirklich hervorragend,“ lobte auch Sebastiano Kokosschnaps´ Selbstgebrannten, sich die Lippen leckend und klopfte ihm auf die Schulter.
„Aber nun waren wir schon zwei Tage hintereinander nicht zum Fischen auf dem Meer und wir können ja nicht ausschließlich von Früchten leben.“
„Mach dir mal da keine Sorgen, lieber Häuptling. Wir brauchen für die harte Arbeit, die jetzt auf uns zukommt ein wenig Treibstoff, damit uns nicht der Spaß daran vergeht.“
Das Vergnügen der Männer, die dem Kokosschnaps schon ausgiebig zugesprochen hatten, beschränkte sich augenscheinlich auf einige wenige Aktivitäten; so erbrachen sich einige da, wo sie gerade standen, andere lagen gekrümmt auf dem Dorfplatz, während die Kinder die nachäfften, die torkelnd oder auf allen Vieren kriechend versuchten, in ihre Hütten zu gelangen.
„Na, heute wird es wohl auch nichts mehr mit dem Fischen,“ stellte Kokosschnaps fest, „dann werde ich mich jetzt mal um die Frauen kümmern.“
Doch auch Sebastiano hörte ihn nicht mehr, sondern lag vor seinem Thron auf dem Boden und schnarchte den majestätischen Schlaf des Stammesführers.
Während sich also Kokosschnaps anschickt, auch den weiblichen Stammesmitgliedern die Segnungen der Zivilisation näher zu bringen, muss erwähnt werden, dass er in den drei Jahren seines Exils nicht nur im Verkauf diverser Spirituosen tätig gewesen war, sondern auch kräftig beim Brennen verschiedenster gehaltvoller Getränke ausgeholfen hatte, so dass er nun, wie der Zustand seiner Stammesbrüder nach seinem Experiment mit heimischen Früchten beweist, darin eine gewisse Meisterschaft erreicht hatte, die er, denn man sollte kein Talent ungenutzt lassen, auf Palm Eiland weiter entwickeln wollte.
Doch schauen wir einmal, wie Kokosschnaps es anstellt, auch den Frauen seines Stammes ein wenig Kultur zu bringen und begleiten wir ihn nun zum Frauenhaus, in dem alle Frauen sich tagsüber versammeln, um dort gemeinsam zu kochen und die neuesten Nachrichten untereinander auszutauschen.
„Olla, Frauen, kommt heraus und hört mir zu,“ rief Kokosschnaps, breitbeinig vor der länglichen Hütte der Frauen stehend.
„Was willst du?“ fragte Orchidea, als Frau des mächtigen Häuptlings Sebastiano Sprecherin der Frauen.
„Euch das Leben versüßen.“
Allein mit diesen spärlichen Worten vermochte es Kokosschnaps sämtliche Frauen auf den Platz vor der Hütte zu locken, denn auch die Menschen von Palm Eiland sind wie alle Menschen versessen auf Süßes jeglicher Art und was könnte denn noch schöner als ein süßes Leben sein? Na also.
„Hört mir zu ihr Blumen von Palm Eiland, ihr Orchideen im sanften Wind des Ozeans. Weit bin ich gereist, habe allen Gefahren getrotzt, Meeresungeheuern in hartem Kampf standgehalten, Hunger und Durst überstanden, um euch nun beistehen zu können in eurer Not.“
Beim Klang dieser poetischen Worte wurde es selbst den ältesten Frauen flau im Bauch und sie hingen gespannt an den aufgesprungenen Lippen des gewandten Redners.
„Was ich auf der Großen Insel sah, waren anmutige Frauen, doch nicht halb so anmutig wie ihr, denn nur die Frauen von Palm Eiland sind schöner in ihrer Farbenpracht noch als die allerschönsten Fische der Meere, nur die Frauen von Palm Eiland sprechen noch so lieblich wie der sanfte Wind, der uns an einem heißen Tag so herrlich erfrischt, nur ihr seid noch so köstlich süß und schmackhaft, wie die köstlichsten Bananen, wenn ihr am Abend oder in der Nacht zu uns Männern in die Hütte kommt und uns die süße Frucht der Liebe kosten lasst.“
Die jungen Frauen kicherten und wurden rot, doch die erfahreneren nickten und lächelten schwärmerisch.
„Diese anmutigen Damen der Großen Insel, sie können euch keinesfalls die Kokosmilch reichen, sind Frauen wie ihr und dennoch führen sie nicht ein halb so beschwerliches Leben wie ihr, mit all eurer Plackerei.“
Die Frauen sahen auf.
„Seht euch nur eure Hände an: Sind sie nicht rau vom Pflücken der Früchte? Betrachtet eure Rücken: Sind sie nicht schon krumm vom Schleppen der schweren Töpfe? Eure Augen: Sind sie nicht schon getrübt vom Weben der groben Kleidung in der Dunkelheit? Fühlt die Sohlen eurer Füße: Sind sie nicht hart und schrundig, weil ihr auch auf den schärfsten Klippen noch nach den winzigsten Vogeleiern sucht?“
Und die Frauen betasteten ihre Füße, die das bedeutsamste Schönheitsmerkmal auf Palm Eiland sind und stellten zum ersten Mal in ihrem Leben fest, dass diese tatsächlich rau, hart und schrundig waren und sie schämten sich sehr.
„Hol mir deinen Stuhl,“ sagte Kokosschnaps zu Orchidea, „ich will euch etwas zeigen.“
Kokosschnaps setzte sich hin, rückte seine Sonnenbrille zurecht und schob seinen Strohhut in den Nacken. Dann beugte er sich vor, streifte seine ausgelatschten Schuhe ab und streckte seine Füße aus:
„Jetzt fühlt mal.“
Die Frauen schüttelten den Kopf; die Füße eines erwachsenen Mannes zu berühren war nur schicklich, wenn man mit ihm verheiratet war.
„Keine Angst, eure Männer sind beschäftigt und werden nichts davon erfahren,“ versprach Kokosschnaps.
Die Frauen tuschelten miteinander und kamen zu dem Schluss, wenn doch jede die riesigen und schmutzigen Füße von Kokosschnaps berühren würde, bestünde tatsächlich kaum die Gefahr, dass die Männer von deren Verfehlung erführen.
Vorsichtig näherten sich die Frauen Kokosschnaps und eine nach der anderen betastete, knetete und streichelte dessen Füße.
Kokosschnaps kicherte, bis die letzte sich davon überzeugt hatte, dass er zwar nicht die saubersten und wohlriechendsten, wohl aber die weichsten, glattesten und kitzligsten Füße von ganz Palm Eiland hatte.
„Seht ihr? Und die Füße der anmutigen Damen auf der Großen Insel waren noch weicher und schöner als meine, das könnt ihr mir glauben.“
Die Frauen nickten und schüttelten abwechselnd ihre Köpfe.
„Nun, mein lieber Kokosschnaps, was können wir tun, auch solch schöne Füße zu bekommen, damit uns unsere Männer noch mehr lieben?“
„Das, meine Lieben, ist gar nicht so schwer. Jedes Mal, wenn eure Männer die süße Frucht der Liebe mit euch kosten wollen, verlangt ihr von ihnen ein Liebespfand.“
„Ein Liebespfand?“
„Ja, ein Geschenk der Liebe. Einen leckeren Fisch, eine besonders große Kokosnuss, eine Koralle, einen Haifischzahn, alles, was euch an Wertvollem einfällt.“
„Und dadurch werden unsere Füße weicher?“
„Nein, aber ihr gebt mir all diese Geschenke und ich werde euch auch solche Zweibäume, wie ihr sie nennt besorgen. Dann werdet ihr die schönsten Füße der Welt haben und eure Männer werden euch dafür umso mehr lieben.“
Die Frauen von Palm Eiland steckten ihre Köpfe zueinander und besprachen die Angelegenheit ausgiebig.
„Nun, einverstanden?“
„Einverstanden,“ antwortete Orchidea und sie besiegelten den Vertrag, indem sie sich umarmten und auf die Schultern klopften.
Als Kokosschnaps den Frauen von Palm Eiland von den anmutigen Damen der Großen Insel erzählt, hat er damit noch nicht einmal gelogen, sondern nur ein wenig außer acht gelassen, dass diese in dem heruntergekommenen Hafen auf der Großen Insel äußerst selten als solche bezeichnet wurden. Allerdings hatten sie wirklich sehr weiche und sehr schöne Füße, denn sie wurden je nach Gunst von den Männern, die mit ihnen die süße Frucht der Liebe kosten wollten, reichlich beschenkt und hatten demzufolge nicht nur ein Paar „Zweibäume“ zur Verfügung, sondern sehr viele.
Wenn also Kokosschnaps dieses den Frauen von Palm Eiland verschweigt, dann doch nur, weil er sie nicht mit etwas verwirren will, das sie nicht kennen und nicht verstehen können.
Woran man sieht, wie sorgsam er darauf achtet, seinem Stamm nur das Beste zukommen zu lassen, zum allgemeinen Nutzen der Stammesgemeinschaft.
Einige Wochen später hatte sich Palm Eiland zu einer wahren Perle der Südsee entwickelt; in einigen der neuen Hütten, die die Männer für Kokosschnaps gebaut hatten, stapelten sich die bis zum Rand gefüllten Kürbisflaschen, in den übrigen die Liebespfänder der Frauen.
Kokosschnaps ging von einer Schnapsbrennerei zur nächsten, kontrollierte die Qualität der steigenden Produktion und beaufsichtigte den Abtransport, den die Kinder von Palm Eiland besorgten.
Dann zog er mit den Kindern zum Frauenhaus und ließ dort die Geschenke der Männer aufladen und zu seinen Lagerhütten bringen.
Damit noch genügend Fisch für alle da war, hatte er den Bau eines großen Mehrbaumbootes angeregt und die Fischer dazu gebracht, sämtliche kleinen Netze zu einem großen Schleppnetz zu verknüpfen.
Dadurch musste nur noch eine Handvoll Männer auf See und fischen, während die anderen sich ausschließlich der Schnapsproduktion widmen konnten.
„Orchidea und Sebastiano,“ sagte eines Abends Kokosschnaps zum Häuptling und seiner Frau, „ich habe euch zu mir rufen lassen, weil es nun bald an der Zeit ist, das große Geschäft zu machen.“
Sebastiano, vom vielen Kosten seiner Selbsterzeugnisse etwas beduselt, nickte, ebenso wie Orchidea, seine Frau, die reichlich erschöpft war vom Kosten der süßen Frucht der Liebe. Was ein großes Geschäft war, konnten sie mittlerweile beide erahnen.
„Wir alle haben in der letzten Zeit hart gearbeitet und so werdet ihr sicherlich Verständnis dafür haben, dass ich nun ein wenig Urlaub von diesen Strapazen brauche. Ich muss meinen Kopf wieder frei machen, um mich auf Größeres vorzubereiten.“
Die Oberhäupter der Palm Eiländer nickten, sie nickten in letzter Zeit eigentlich immer, wenn sie mit Kokosschnaps sprachen und hörten weiter zu.
„Deshalb übertrage ich euch nun im vollsten Vertrauen all meine Verantwortung und werde nach meinem Urlaub meine Kraft hundertprozentig für die wichtigste Aufgabe einsetzen, nämlich Palm Eiland zu einem Markenzeichen zu machen.“
Auch wenn das Häuptlingspaar vor Erschöpfung nicht die Hälfte von dem verstand, was Kokosschnaps da vorschlug, nickten beide wie gewöhnlich.
„Nun, einverstanden?“
„Einverstanden,“ antworteten beide unisono und sie besiegelten den Vertrag, indem sie sich umarmten und auf die Schultern klopften.
So kam es, dass sich Kokosschnaps auf den höchsten Berg in die Hütte zurückzog, die der Stamm ihm als Urlaubsdomizil gebaut hatte und sich dort, im vollsten Vertrauen auf den Häuptling und seine Frau, drei Monate lang entspannte, vom ganzen Stamm mit dem Besten vom Besten versorgt.
Doch was er nicht ahnte war, dass, obwohl Orchidea und Sebastiano der Sache äußerst dienlich waren, sich eine gewisse Unzufriedenheit unter der Bevölkerung von Palm Eiland breit machte, die erst im Verborgenen keimte, sich aber im Laufe der Reformen auswachsen sollte.
„Ehrlich, ich hab´s satt, ständig nach irgendwelchen Geschenken für meine Frau suchen zu müssen, nur weil ich die Frucht der Liebe mit ihr kosten will,“ gestand eines Morgens ein Freund dem anderen.
„Mir geht´s genauso. Ständig kommt sie mit was Neuem an: ´Haifischzähne hast du mir doch schon gestern angeschleppt. Und diese dämlichen Korallen kann ich auch schon nicht mehr sehen. Wie wär´s mal mit was Neuem, mein Lieber?´ Schrecklich, sage ich dir.“
Auch unter den Frauen machte sich leiser Unmut breit:
„Ständig ist mein Kerl besoffen und stinkt nur noch nach diesem ekligen Kokosschnaps,“ verriet eine der anderen beim Kochen.
„Meiner auch. Und wenn ich ihn dazu auffordere, mit mir die Frucht der Liebe zu kosten, lacht er nur dümmlich, verdreht die Augen und schläft auf der Stelle ein.“
Selbst die Kinder zeigten einen gewissen Unwillen gegenüber den großartigen Reformen, die Kokosschnaps eingeführt hatte:
„Den ganzen Tag schlepp ich schon diese Kokosnüsse hin und her und mein Papa will ständig noch mehr davon.“
„Und dann all diese Geschenke, die wir über die Insel tragen müssen. Wir können ja gar nicht mehr miteinander spielen.“
Den Fischern in dem großen Mehrbaumboot wurde es allmählich auch zuviel; der Fang war zwar üppig, aber das Einholen des riesigen Netzes erforderte all ihre Kraft, so dass sie jeden Abend vollkommen erschöpft auf Palm Eiland ankamen.
„So kann es nicht weiter gehen,“ tuschelten alle hinter vorgehaltener Hand.
Woran man sieht, dass der Mensch hofft, so lang er lebt, dass es ihm irgendwann einmal noch besser geht.
Wir alle wissen, dass auch der längste und schönste Urlaub enden muss, das Leben ist schließlich nicht zum Vergnügen da und so stieg auch Kokosschnaps eines schönen Tages von seinem hohen Berg herab und stellte sich mit ausgebreiteten Armen auf den Hauptplatz im Dorf:
„Meine lieben Palm Eiländer. Nach reiflichen Überlegungen bin ich zu dem Schluss gekommen, aus unserer schönen Insel ein Touristenzentrum zu machen. Dafür brauchen wir allerdings ein wenig Startkapital. Denn wir müssen die Insel nicht nur elektrifizieren, sondern auch weitere Hütten in Strandnähe bauen, die wir mit edlen Möbeln einrichten werden. Dann werde ich auf der Großen Insel Werbung für Palm Eiland machen und im Handumdrehen sind wir reich.“
Der Jubel hielt sich in Grenzen, doch da es alle mittlerweile gewohnt waren zu jedem Vorschlag von Kokosschnaps zu nicken, taten sie auch dieses Mal nichts Anderes.
Unbeirrt fuhr Kokosschnaps fort: „Ihr werdet ein sehr großes Mehrbaumboot bauen, damit ich unsere Handelsgegenstände, also den Schnaps und die Liebespfänder zur Großen Insel transportieren kann. Dort werde ich die Ware an den Mann bringen und dann mit den nötigen Materialien zurückkehren.“
Wieder nickten sämtliche Palm Eiländer nur stumm.
„Nun, einverstanden?“
„Einverstanden,“ murmelten alle im Chor und sie besiegelten den Vertrag, indem sie sich umarmten und auf die Schultern klopften.
„Also dann, frisch ans Werk. Ihr werdet sehen, wenn die ersten Touristen hier zu Gast sind, werdet ihr froh sein, meinen Ratschlägen gefolgt zu sein.“
So wurden die geradesten und höchsten Palmen gefällt, mit Äxten und Hobeln bearbeitet und schon nach einer Woche lag das größte Boot, das auf Palm Eiland je gebaut worden war, bereit zur großen Überfahrt bedenklich tief im seichten Wasser der kleinen Bucht.
Mit der größten Kürbisflasche voller Kokosschnaps wurde es von Orchidea auf den Namen „Großartige Zukunft“ getauft, denn diese würde mit ihm ja bald kommen, versprach Kokosschnaps noch einmal mit salbungsvollen Worten.
Ein großes Palmblätterdach spendete den Gütern, die von den Kindern an Bord geschafft worden waren den nötigen Schatten.
„Gut gemacht, Leute. Nun werde ich ausfahren und dann das große Glück nach Palm Eiland bringen.“
Kokosschnaps winkte seinem Stamm noch einmal vom Meer aus zu, rückte seine riesige Sonnenbrille zurecht, schob seinen Strohhut in den Nacken und paddelte davon.
Drei Jahre waren seitdem wieder vergangen und Kokosschnaps war noch immer nicht zurückgekehrt.
So war das gewohnte Leben nach und nach wieder eingekehrt; die Männer fischten wieder jeder für sich auf dem Meer, tranken nur noch zu Festlichkeiten ein wenig Kokosschnaps, aber brachten nun ihren Frauen manchmal Geschenke mit.
Die Frauen gingen weiterhin barfuß und wußten, dass sie trotz rauer Sohlen, die schönsten Füße der Welt hatten und schämten sich nicht mehr.
Die Kinder spielten, wie es auf Palm Eiland immer schon gewesen war.
Manchmal erinnerte sich einer an Kokoksschnaps und dann sprach man einige Worte über diese kurze Zeit des entgangenen Fortschritts.
„Was mir daran gut gefallen hat, war, dass das mal was Anderes war.“
„Ja schon, aber ich konnte diesen Kokosschnaps nachher nicht einmal mehr riechen, ohne dass mir davon schlecht wurde,“ antwortete ein Anderer darauf und alle lachten lauthals.
„Was wohl aus ihm geworden ist?“
„Er wird unsere Waren verkauft haben und nun mit einer glattsohligen anmutigen Dame irgendwo auf der Großen Insel eine Touristenhütte eröffnet haben,“ erwiderte eine der Frauen darauf.
Doch Monate später fand Kokosschnaps´Bruder in seinem Netz etwas, das auch diese Frage ein für alle Male zu beantworten schien.
Es war ein, vom Ungeheuerlichen Hai zerbissenes Stück Stoff, auf dem noch schwach der Aufdruck „Paradise No“ zu erkennen war.
Traurig schenkte er dieses Überbleibsel seiner Frau, die so gerne den weichen Stoff berührte. © 26.04. 2004 Jon
Schreibmaschinist_Jon - 20. Dez, 23:18