Der Brüller - Ein Tatsachenbericht
Ja, dachte ich, gehste mal wieder mit ins Theater, war ja schon lange her und die Tante meiner Liebsten wollte gern einen Klassiker von Brecht mit uns sehen.
Brecht, nicht schlecht, dachte ich noch und schon saßen wir ganz offensichtlich in einer Schülervorstellung, - welcher debile Abenteuerpädagoge hatte diese Kleinkriminellen nach acht Uhr eigentlich noch auf die Straße, geschweige denn ins Theater getrieben?-, um uns "Mutter Courage und ihre Kinder" anzusehen.
Dass eigentlich wir diejenigen waren, die Courage brauchten, um nicht nur diese dolle Provinzposse, zu der sie der Regisseur eingedampft hatte, sondern auch diese Kinder heil zu überstehen, stand leider nicht als warnender Hinweis auf unseren Eintrittskarten und so saßen wir gänzlich unbewaffnet vor einem vor sich hindümpelnden Stück deutscher Regiekunst und dessen Zwangsrezipienten; klar wurde ein Karren auf der Bühne hin und her gezogen, das gehört sich eben so bei der mutigen Mutter von Brecht; und klar war das rege Mütterchen ganz volksnah gewandet.
So gesehen fühlte man sich gleich in längst vergangene Zeiten versetzt, was durch die ausfallenden Einwürfe besagter Schülerhorden stark verstärkt wurde, welche gleich drei- oder vier Reihen weit und breit vor uns auf ihren Sitzen herumtollten und -tönten, vor und hinter sich Verbalinjurien verbreitend, um allen Zweiflern zu beweisen, dass selbst heutzutage nicht alle Kreativität und jeder Witz verloren ist, wie immer wieder behauptet wird.
Es war, um es kurz zu sagen, eine Vorstellung wie zu Shakespeares besten Lebzeiten; wenigstens das Schulvolk kochte und brodelte; aber leider fehlte zur richtigen Stimmung das Bewerfen der Schauspieler mit fauligem Gemüse, das doch freundlicherweise beim Eintritt an die Besucher hätte verteilt werden können.
Dieses Gemüse hätte auch ich mir einstecken sollen, denn das, was auf der Bühne vor sich ging, steigerte sich allmählich zu einer billigen Ingo-Appelt-Kopie aus seiner spätpubertären "F-Phase":
Schon war mir das Kinn auf die Brust gesunken, die Lider zugefallen, kaum hatte ich mich dem brausenden Tosen der vor mir sitzenden Gymnasiasten als Untermalung meines gerechten Schlafes hingeben wollen, da, ausgerechnet da - bisher war nichts anderes als mäßiges Geplänkel frühverrenteter Schauspielbeamter über den Bühnenrand gekrochen -, da riss sich einer der durchtrainierteren Jungmimen mit heroisch-dramatischem Gesicht das härene Hemd vom schwitzenden Leibe - fraglich wodurch er eigentlich ins Schwitzen gekommen sein mochte - und stellte sich in völkischer Arno-Breker-Positur, so was wie der „Hammerschwinger“ muss wohl Vorlage gewesen sein, inmitten der Bühne auf und brüllte – das, muss ich jetzt lobend erwähnen, gelang ihm ganz hervorragend, jedenfalls so lange es ihm sein stockender Atem erlaubte, der wegen großer Aufregung aufgrund seiner sehr, sehr gewagten, ja geradezu revolutionären Spielweise und gesellschaftlicher Brisanz verpönten, den kultursuchenden Spießbürger schockierenden anarchischen Energie hörbar schwer wurde – kurz, er stellte sich mit nacktschweißigem Oberkörper mitten auf die Bühne und brüllte, dass selbst die tumbesten Toren vor mir es hören mussten, mit vor Freude über seine unglaubliche Unverschämtheit überschnappender Stimme, aus sich blähendem Halse, so dass er mich an den afrikanischen Brüllfrosch erinnerte: „FICKEN. FICKEN. FICKEN.“
Kein anderer Laut war mehr zu hören, als dieses arhythmische Stakkato-Ficken des nun mehr und mehr kläglich krächzenden Mimen, dessen Gesichtsfarbe einen besorgniserregenden Farbton angenommen hatte.
Selbst die beredsamsten Gymnasiasten verstummten schlagartig äußerst beeindruckt.
Da sprach nicht nur einer ihre Sprache, sondern traute sich das auch noch mit nacktem Oberkörper auf offener Bühne stehend, eine Hand am Hodensack wie Michael Jackson.
Geil, das war nun wirklich höchste Schauspielkunst, meinte in diesem Moment moderner epischer Dramatik noch der stumpfsinnigste Oberschüler blitzartig zu erkennen; das war ja hier wie bei Mutti vorm Fernseher, brüllend komisch.
Niemand stimmte zum Chor ein, wie ich es zuerst erwartet hatte; auch kein Kanon kam auf; wahrscheinlich lag es aber nur daran, dass der Pausengong ertönte und sich alles ins kleine Theatercafé nach vorn drängelte, um auf jeden Fall das allererste Bier zu ergattern.
Wie es nach der Pause weiterging?
Keine Ahnung, denn wir verzichteten auf altdeutsche Kultur im modernden Provinzschlafrock und gingen lieber ins nächste Restaurant:
Wer da Sauerbraten bestellt, bekommt ihn auch. © Jon
Brecht, nicht schlecht, dachte ich noch und schon saßen wir ganz offensichtlich in einer Schülervorstellung, - welcher debile Abenteuerpädagoge hatte diese Kleinkriminellen nach acht Uhr eigentlich noch auf die Straße, geschweige denn ins Theater getrieben?-, um uns "Mutter Courage und ihre Kinder" anzusehen.
Dass eigentlich wir diejenigen waren, die Courage brauchten, um nicht nur diese dolle Provinzposse, zu der sie der Regisseur eingedampft hatte, sondern auch diese Kinder heil zu überstehen, stand leider nicht als warnender Hinweis auf unseren Eintrittskarten und so saßen wir gänzlich unbewaffnet vor einem vor sich hindümpelnden Stück deutscher Regiekunst und dessen Zwangsrezipienten; klar wurde ein Karren auf der Bühne hin und her gezogen, das gehört sich eben so bei der mutigen Mutter von Brecht; und klar war das rege Mütterchen ganz volksnah gewandet.
So gesehen fühlte man sich gleich in längst vergangene Zeiten versetzt, was durch die ausfallenden Einwürfe besagter Schülerhorden stark verstärkt wurde, welche gleich drei- oder vier Reihen weit und breit vor uns auf ihren Sitzen herumtollten und -tönten, vor und hinter sich Verbalinjurien verbreitend, um allen Zweiflern zu beweisen, dass selbst heutzutage nicht alle Kreativität und jeder Witz verloren ist, wie immer wieder behauptet wird.
Es war, um es kurz zu sagen, eine Vorstellung wie zu Shakespeares besten Lebzeiten; wenigstens das Schulvolk kochte und brodelte; aber leider fehlte zur richtigen Stimmung das Bewerfen der Schauspieler mit fauligem Gemüse, das doch freundlicherweise beim Eintritt an die Besucher hätte verteilt werden können.
Dieses Gemüse hätte auch ich mir einstecken sollen, denn das, was auf der Bühne vor sich ging, steigerte sich allmählich zu einer billigen Ingo-Appelt-Kopie aus seiner spätpubertären "F-Phase":
Schon war mir das Kinn auf die Brust gesunken, die Lider zugefallen, kaum hatte ich mich dem brausenden Tosen der vor mir sitzenden Gymnasiasten als Untermalung meines gerechten Schlafes hingeben wollen, da, ausgerechnet da - bisher war nichts anderes als mäßiges Geplänkel frühverrenteter Schauspielbeamter über den Bühnenrand gekrochen -, da riss sich einer der durchtrainierteren Jungmimen mit heroisch-dramatischem Gesicht das härene Hemd vom schwitzenden Leibe - fraglich wodurch er eigentlich ins Schwitzen gekommen sein mochte - und stellte sich in völkischer Arno-Breker-Positur, so was wie der „Hammerschwinger“ muss wohl Vorlage gewesen sein, inmitten der Bühne auf und brüllte – das, muss ich jetzt lobend erwähnen, gelang ihm ganz hervorragend, jedenfalls so lange es ihm sein stockender Atem erlaubte, der wegen großer Aufregung aufgrund seiner sehr, sehr gewagten, ja geradezu revolutionären Spielweise und gesellschaftlicher Brisanz verpönten, den kultursuchenden Spießbürger schockierenden anarchischen Energie hörbar schwer wurde – kurz, er stellte sich mit nacktschweißigem Oberkörper mitten auf die Bühne und brüllte, dass selbst die tumbesten Toren vor mir es hören mussten, mit vor Freude über seine unglaubliche Unverschämtheit überschnappender Stimme, aus sich blähendem Halse, so dass er mich an den afrikanischen Brüllfrosch erinnerte: „FICKEN. FICKEN. FICKEN.“
Kein anderer Laut war mehr zu hören, als dieses arhythmische Stakkato-Ficken des nun mehr und mehr kläglich krächzenden Mimen, dessen Gesichtsfarbe einen besorgniserregenden Farbton angenommen hatte.
Selbst die beredsamsten Gymnasiasten verstummten schlagartig äußerst beeindruckt.
Da sprach nicht nur einer ihre Sprache, sondern traute sich das auch noch mit nacktem Oberkörper auf offener Bühne stehend, eine Hand am Hodensack wie Michael Jackson.
Geil, das war nun wirklich höchste Schauspielkunst, meinte in diesem Moment moderner epischer Dramatik noch der stumpfsinnigste Oberschüler blitzartig zu erkennen; das war ja hier wie bei Mutti vorm Fernseher, brüllend komisch.
Niemand stimmte zum Chor ein, wie ich es zuerst erwartet hatte; auch kein Kanon kam auf; wahrscheinlich lag es aber nur daran, dass der Pausengong ertönte und sich alles ins kleine Theatercafé nach vorn drängelte, um auf jeden Fall das allererste Bier zu ergattern.
Wie es nach der Pause weiterging?
Keine Ahnung, denn wir verzichteten auf altdeutsche Kultur im modernden Provinzschlafrock und gingen lieber ins nächste Restaurant:
Wer da Sauerbraten bestellt, bekommt ihn auch. © Jon
Schreibmaschinist_Jon - 9. Dez, 13:13